Türkei IV - Kappadokien

Von Höhlenerkundung...
„Ich bin gespannt, wie wir das mal im Blog beschreiben werden“ meint Johannes, als wir mit staunenden Augen die erste Höhlenfestung in der seit Stunden immer bizarrere Formen annehmenden Landschaft erblicken. Zwar kennen wir die einzigartigen Felsformationen Kappadokiens aus Bildbänden und Reportagen, aber nun einmal leibhaftig in dieser sagenhaften Umgebung sein Lager aufzuschlagen ist etwas ganz anderes!

Doch spulen wir erst noch einmal ein Stück zurück, denn die erste Attraktion des Tages ist so spärlich ausgeschildert, dass wir beinahe daran vorbei fahren und erst bei der Ortsausfahrt von Derinkuyu stutzig werden. Was es hier zu sehen gibt? Eine der größten unterirdischen Höhlenstädte Kappadokien!

Vom Eingang führt direkt ein schmaler Tunnel in die Tiefe, von dem aus rechts und links Durchbrüche in kleine Räume und Nischen führen. Zunächst haben wir (oder besser gesagt Johannes) noch eine ungefähre Ahnung, wo wir uns gerade in dem verzweigten Höhlensystem befinden, doch je weiter wir uns vom Hauptgang entfernen, desto schwieriger wird es, die Orientierung nicht zu verlieren. Vor allem wenn sich einer von beiden mehr von den unheimlichen dunklen Tunneln als von den besucherfreundlich ausgeleuchteten Gängen angezogen fühlt! Dreimal dürft ihr raten, von wem die Rede ist – und wer derjenige ist, der wohl oder übel mitziehen muss um nicht als Feigling dazustehen...
Übrigens gefällt uns am Ende eines solchen Tunnels ein Raum besonders gut, der so feucht ist, dass sich hier Pilze angesiedelt haben, die nun kopfüber gespenstisch von der Decke hängen.

Für Besucher ist das Höhlensystem bis in eine Tiefe von circa 50 Metern zugänglich gemacht worden, die komplette Stadt reicht allerdings noch einige Ebenen tiefer in die Erde. Darüber, wie tief die Städte tatsächlich in den Stein getrieben sind und wie weit verzweigt sie sind, finden wir unterschiedliche Angaben. Doch auf jeden Fall gehen diese Städte bis zu zehn Stockwerke tief in die Erde und sind so groß, dass zeitweise zwischen 2000 und 4000 Menschen darin gelebt haben sollen! Unklar ist jedoch, ob die Hethiter als ursprüngliche Erbauer der Höhlen diese auch in Friedenszeiten bewohnten oder ob sie die unterirdischen Gänge als verfolgte Christen in erster Linie zum Schutz vor Feinden nutzten.
Da haben wir beide was zu recherchieren wenn wir wieder zuhause sind – wenn uns nicht vorher eine erhellende Nachricht von Informationsgenie Wulf erreicht... ;)

So oder so sind wir total begeistert. Einerseits von den erwähnten gigantischen Ausmaßen der Stadt, zum anderen aber auch durch die `Einrichtung´ der Räume an sich. Denn auch wenn diese komplett leer stehen , lassen Spuren im Fels doch auf die Nutzung einzelner Zimmer schließen, indem das Mobiliar in Form von Betten, Sitzkuhlen und vor allem Regalen praktischerweise direkt in den Stein gehauen sind. Auch eine kleine Kirche und die Krypta sind leicht zu erkennen, wohingegen andere steinerne `Hinweise´ nicht so leicht zu entschlüsseln sind, sodass wir uns über die Schilder über den Durchgängen freuen, die uns verraten, womit wir es zu tun haben.
Besonders gut gefällt uns übrigens ein Verteidigungsmechanismus, mit dem die Bewohner ganze Gänge für Eindringlinge versperren konnten, während sie selbst auf der anderen Seite in das nächste unterirdische Höhlensystem fliehen konnten. Das Ganze sieht aus wie ein riesiger Mühlstein, der in einer Art Schiene verkeilt ist. Löst man den Keil, rollt der Stein allein aufgrund seines Gewichts in eine Mulde vor den Eingang und ist durch sein enormes Gewicht und mangelnde Ansatzpunkte kaum zu entfernen.

Schwer zu sagen, was uns besser gefällt; der Mechanismus an sich, oder die Tatsache, dass wir selbst unseren Grips anstrengen müssen, um denselben zu rekonstruieren... Überhaupt genießen wir, dass wir uns gegen eine Führung entschieden haben und diese aufregende Stadt nun auf eigene Faust erkunden dürfen. Was würden wir dafür geben, einmal kurz in der Zeit zurück reisen zu können, um zu sehen wie hier unter Tage Alltagsleben wohl ausgesehen hat. Mit Fackeln, Öllampen oder Kerzen anstatt elektrischer Beleuchtung dürfte es so manche dunkle Ecke gegeben haben. Für Frischluft war zwar durch ein alle Stockwerke übergreifendes Belüftungssystem gesorgt, doch bei so vielen Menschen in wenig großzügig geschnittenen Wohnungen dürfte da unten durch etliche Feuer und etwaige Ausdünstungen ganz schön `dicke Luft´ geherrscht haben, zumal neben den unzähligen Menschen auch deren Tiere mit in den Höhlen gelebt haben! Auf den Geruch können wir in unserer Vorstellung jedenfalls gerne verzichten...




...über Höhlenbewohner...
Wenige Kilometer nach Derinkuyu beginnt sich die Landschaft auf anfangs beschriebene Weise zu ändern und wir fühlen uns, als befänden wir uns in einer anderen Welt oder zumindest in einem komplett anderen Land als noch vor ein paar Stunden. Mit der in der Ferne aufragenden Höhlenfestung Uchisar bewegen wir uns nun langsam aber sicher auf das touristische Herzstück Kappadokiens zu, das wir uns jedoch für den nächsten Tag aufheben wollen. Heute sind wir schon voll auf unsere Kosten gekommen und wollen uns einfach noch ein schönes Plätzchen bei Göreme suchen.

Doch kurz vor dem Ziel müssen wir einfach anhalten. Direkt neben uns tauchen plötzlich die zipfelmützenartigen Felsenhäuser des `Pidgeon Valleys´ auf und obwohl hier schon viele andere Touristen mit ihren Autos stehen, steigen wir aus um uns das kleine Dorf anzusehen. Spätestens seit Pamukkale lassen wir uns von Touristenmassen nicht mehr aus der Ruhe bringen und gehen einfach zielstrebig an den Souvenirständen und Cafes vorbei, bis wir nur etwa 100 Meter weiter auch hier wieder ganz in Ruhe und ziemlich allein durch die beeindruckende Kulisse schreiten können. Ein alter Mann winkt uns von seinem Garten aus zu und wir beschließen, in seinem kleinen privaten Cafe ein Tässchen Cay zu trinken. Eine gute Wahl, denn Ismail führt uns hierzu nicht nur auf den in den Stein gehauenen Balkon seines Höhlenhäuschens, von dem aus man eine wunderbare Aussicht auf den Ort hat, sondern zeigt uns auch die übrigen Zimmer des Hauses, sodass sich die in unserer bisherigen Vorstellung kalten Steinhöhlen in unseren Köpfen nun mit Leben füllen. Sehr gemütlich haben es Ismail und seine Frau Emine hier. Die steinernen Wände sind zum Teil mit Teppichen ausgekleidet und auch hier finden wir wieder direkt in den Stein gehauene Regale, nur dass sie in diesem Fall nicht leer stehen, sondern mit Alltagsgegenständen bestückt sind. Durch seinen wirklich wunderschön angelegten Garten führt uns Ismail hinüber in eine weitere `Zipfelmütze´, die sogar noch größer ist als sein zweigeschossiges Häuschen. Hier befindet sich neben Keller und Vorratsraum ein riesiger Taubenschlag. Auf mehrere Stockwerke verteilt sind kleine Taubenwohnungen in Form von kleinen, in den Fels gehauenen Nischen für viele Hundert Tauben angelegt. Als Ein- und Ausgang konnten die Tauben eine Reihe kleiner Löcher nutzen. Wie uns Ismail erzählt, der schon in der vierten Generation hier lebt, verfügt beinahe jedes Haus über einen solchen Taubenschlag, da man den Vogeldreck noch in seiner Jugend als Dünger nutzte. Jetzt ist uns auch klar, woher das Pidgeon Valley seinen Namen hat! Was muss dass für ein Gegurre und Gescharre gewesen sein...

Zurück auf dem Balkon bietet uns der Hausherr neben Cay auch Zigaretten an und amüsiert sich köstlich über den fragenden Blick, den Nichtraucher Johannes seiner Marie zu wirft, bevor er zugreift. Ismail erzählt uns ein bisschen von der Geschichte der Tuffsteinhäuser und davon, dass Kappadokien seit den 80er Jahren zum Nationalpark ernannt wurde. Auf unsere Frage, wie er dazu steht, wird er etwas nachdenklich. Natürlich hält auch er es für richtig, diese einzigartige Landschaft durch entsprechende Maßnahmen zu schützen, doch im Großen und Ganzen sieht er die Entwicklung eher skeptisch. Seit Gründung des Nationalparks seien noch mehr Menschen aus den Höhlen fortgezogen und für sein kleines Cafe müsse er seit dem viel höhere Steuern bezahlen. Da jedoch gerade deutsche Touristen seit etwa drei Jahren aufgrund politischer Vorbehalte fern blieben, sei es schwer für ihn geworden, denn die nun durch entsprechende Angebote angelockten Chinesen seien mehr an Hotels, nicht an kleinen Familiencafes wie dem seinen interessiert.
Dass gerade an den touristischen Hotspots besonders viele Chinesen unterwegs sind, ist uns bereits in Pamukkale aufgefallen. Viele Restaurants haben die Preise neben türkisch auch in chinesischen Schriftzeichen angeschlagen und manche lassen die türkische Variante gleich ganz weg. Anscheinend wurde mit China tatsächlich ein neuer Markt erschlossen, nachdem viele deutsche Touristen die Regierung Erdogans boykottieren wollen oder sich einfach nicht mehr sicher in der Türkei fühlen.

Wie wir so gemeinsam mit Ismail auf seinem Balkon sitzen, gefällt uns der Blick auf das ebenso bizarre wie schöne Dorf übrigens so gut, dass wir uns am liebsten selbst eine kleine Höhle suchen würden um diese ebenso gemütlich einzurichten wie Emine und Ismail... Doch für den Moment ist unser geliebter Henk unser Zuhause und so verabschieden wir uns herzlich um Henk und uns ein schönes Plätzchen für die Nacht zu suchen.



...bis Höhenflug
Und das klappt besser als gedacht. Etwas abseits der Stadt finden wir einen ebenen großen Platz, der ringsum von Felsen umgeben ist, die so bizarre Formen haben, dass Johannes unseren Platz kurzerhand `Alienstadt´ tauft. Auch hier lassen die vielen dunklen Öffnungen im Fels auf weitere Höhlen schließen und wir freuen uns schon, diese morgen früh zu erkunden.

Doch bevor wir zu unserer Expedition aufbrechen, werden wir erst einmal von einem merkwürdigen Fauchen geweckt. Tatsächlich schweben beim Blick aus dem Heckfenster zwei große Heißluftballons direkt auf uns zu! Fasziniert klettern wir aus Henk und schauen uns um: Hier wimmelt es nur so von Heißluftballons jeder Größe, Farbe und in unterschiedlicher Höhe! Obwohl die Ballons als Markenzeichen von Göreme bekannt sind und uns schon im Pidgeon Valley von diversen Postkarten, T-Shirts und anderen Souvenirs angegrinst haben, sind wir doch etwas überrascht, wie beeindruckend das bunte Bild vor den malerischen Felsen im Sonnenaufgang ist. Tourismus und Kitsch hin oder her; es ist einfach ein wunderschönes Bild! Auch wenn wir uns fragen, wie viele Mahlzeiten wir uns wohl mit dem Gas hätten zubereiten können, das da gerade in Flammen aufgeht...



Zu guter letzt: Radieschen.
Während dieses Schauspiels hat sich ein streunender Hund mit glänzend schwarzem Fell zu uns gesellt. Wir haben auf unserer Reise schon so einige Streuner getroffen, doch Radieschen trifft uns mitten ins Herz. Der gute alte Hund mit seinen klugen Augen und den ersten grauen Haaren im Fell weicht uns den ganzen Tag nicht von der Seite. Auch auf unserer Erkundungstour der umliegenden Höhlen ist er unser treuer Begleiter, obwohl wir dabei nicht nur jeden noch so steilen Hang hinaufklettern, sondern auch noch durch die pralle Sonne wandern, was Radieschen, der jede kurze Pause für ein Nickerchen im Schatten nutzt, gar nicht so gut findet. Wahrscheinlich schüttelt der weise Hund innerlich den Kopf über uns komische Menschen, die voller Begeisterung durch sein Revier klettern, ohne dabei Essen herbei zu schaffen.

Wir Zweibeiner sind tatsächlich total in unserem Element, schauen in jeden Eingang und durch jedes Fenster der unbewohnten Behausungen, an denen wir zum Teil noch verblasste orange/rote Wandmalereien finden. Auch die Überreste von Kapellen und Gräber entdecken wir und sind schwer beeindruckt: Wahnsinn, dass wir ohne Eintritt zu zahlen und ohne irgendwelche Vorschriften hier herumlaufen dürfen!

Den Rest des Tages verbringen wir mit Henk an unserem schönen und kaum besuchten Platz. Johannes geht daran, alle Fotos und Videos auf seine externe Festplatte zu ziehen um sie doppelt gesichert zu haben und Marie schreibt analog Tagebuch.
Radieschen liegt neben uns im Schatten, spitzt aber die Ohren, sobald einer von uns aufsteht und begleitet uns auch, als wir Feuerholz suchen gehen. So langsam fragen wir uns, wie wir uns von unserem neuen Freund verabschieden sollen. Selbst Marie, die absolut kein Hundefreund ist, hat Radieschen in ihr Herz geschlossen und würde ihn am liebsten mitnehmen. Aber das geht ja nicht. – Oder doch? Wenn wir jeden Tag nur ein kleines hundefreundliches Stück fahren? Und zwei Kisten rausschmeißen???

Die Vernunft siegt aber, denn wir wissen, dass wir einen so großen Hund noch dazu ohne Papiere nicht so einfach mit auf unsere Reise durch die Welt nehmen können. Und Radieschen – da sind wir uns ganz sicher – weiß das auch. Denn als er sich davon überzeugt hat, dass wir genug Holz gefunden haben und er uns getrost unserem Schicksal überlassen kann, lässt er sich noch einmal ausgiebig von Marie kraulen, schaut Johannes ein letztes Mal mit seinen großen treuen Hundeaugen an und verschwindet dann ohne sich noch einmal umzuschauen zu einer anderen Familie.

Wir sind regelrecht traurig und auch ein bißchen eifersüchtig. Schließlich ist Radieschen unser Hund!
Doch dann müssen wir beide schmunzeln. Wie besitzergreifend wir Menschen doch sind. Radieschen gehört niemandem außer sich selbst und hat uns lieber selbst verlassen als einmal mehr verlassen zu werden. Denn wer weiß, wie viele Namen er bereits hatte, bevor er Radieschen hieß...



Und ganz zum Schluß: Was fröhliches.
Denn das wäre schon ein recht melancholisches Ende für diesen Eintrag geworden, zumal es in ja noch das ein oder andere zu sehen und erleben gibt!

Zum Beispiel beginnt der nächste Tag zwar nicht mit Heißluftballons, die bei dem schlechten Wetter nicht fliegen, dafür aber mit einem ausgiebigen Frühstück mit der lustigen siebenköpfigen Familie Genc, die uns königlich mit Köfte, selbstgemachter Marmelade, Obst und Gemüse bewirtet und selbstverständlich auch einen Caykocher dabei hat. Leider ist unser Proviant ziemlich zur Neige gegangen und so ist ein Päckchen trockener Kekse das Einzige, was wir im Gegenzug beisteuern können. Doch die lacht Papa Genc nur aus und bittet uns stattdessen, das restliche Obst und Gemüse unbedingt auch noch für unterwegs mit zu nehmen. Es wird viel und herzlich gelacht und als die große Familie im kleinen Auto wieder winkend hinter den Hügeln verschwindet, kommt es uns auf einmal viel zu ruhig vor.

Zeit, sich ins touristische Zentrum in Göreme zu stürzen! Besonders bekannt ist Göreme für seine wunderschönen Fresken in den außerordentlich gut erhaltenen Höhlenkirchen, die sich auf dem Gelände eines Freilichtmuseums befinden. Die Kirchen sind wirklich sagenhaft und wir bereuen nicht, hierher gekommen zu sein, doch nachdem wir gestern völlig frei durch die Felsen kraxeln konnten, kann das Museum mit seinen gepflasterten Wegen nicht ganz mit halten. Allerdings ist hier das steinerne `Inventar´ noch sehr gut erhalten und es macht Spaß, die Funktion der jeweiligen Vorrichtungen zu erraten.

Nachdem wir im Anschluss auch noch das imposante, hoch über die Landschaft aufragende Uchisar Castle besichtigen, merken wir so langsam, wie uns der Schädel brummt von so vielen Eindrücken. – Und wir dachten, das könne einem nur bei Städten so gehen...
Also ziehen wir nach einer letzten Nacht hoch oben auf den Felsen mit tollem Blick über Kappadokien weiter.



Hier wie gewohnt weitere Bilder: