Südostasien oder Krätze

Erstes Treffen 

Auf unseren eher unaufgeregten und ruhigen Aufenthalt in Svanetien folgen nun ein paar turbulente Tage. Doch das ahnen wir noch nicht, als wir einmal mehr Richtung Küste aufbrechen, wo wir in Batumi eine Verabredung mit dem freundlichen Computerladen haben, in dem wir unseren Laptop gekauft haben und bei dem wir nun den Bildschirm reparieren lassen wollen.

Die Aussicht auf ein Wiedersehen mit der ungeliebten Stadt ist nicht gerade verlockend und um den Termin so schnell wie möglich hinter uns zu bringen, fahren wir in einem Rutsch ans Schwarze Meer durch. Der vermüllte, schäbige Strand an dem wir landen, lädt leider nicht zum Baden ein und so nutzen wir unseren Aufenthalt stattdessen um zu recherchieren, wie wir in Batumi oder Tiflis an AdBlue kommen und wie es jetzt genau mit der Dieselqualität im Iran aussieht. Dabei stoßen wir zufällig auf alarmierende Neuigkeiten für uns: Dass wir mit unserem Euro 6 Diesel auf die Qualität des Treibstoffes achten müssen, war uns schon vor unserer Reise bekannt, doch dass der hohe Schwefelgehalt des iranischen Diesels das Betanken unseres Henks praktisch unmöglich macht, da er den Partikelfilter zusetzt und auf lange Sicht irreversible Schäden im Motor verursacht, war uns nicht bewusst. Wir sind uns sicher, irgendwo im Netz eine Lösung für unser Problem zu finden, doch je länger wir recherchieren, desto mehr bestätigt sich die unerfreuliche Entdeckung. Wie es aussieht, ist für uns spätestens nach Armenien Schluss. Denn auch in den Ländern, die jenseits des Iran liegen, enthält der Diesel immer noch genug Schwefel, um Henk den Garaus zu machen.

Waren wir zu blauäugig? Haben wir uns zu wenig informiert? Die schlechte Dieselqualität ist für uns ja nichts neues! Doch irgendwie dachten wir, wenn wir an den besten Tankstellen tanken und gleich noch einige Liter Reserve mitnehmen, beziehungsweise grobe Verunreinigungen selbst herausfiltern, kommen wir irgendwie durch. Schlimmstenfalls müssten wir irgendwann den Kraftstofffilter auswechseln, doch das ließe sich ja bewerkstelligen...

Den Lösungsvorschlag, den wir am häufigsten finden, ist den Rußpartikelfilter auszubauen und gegen ein schlichtes Rohr auszutauschen, wobei auch die Elektronik umprogrammiert werden muss. Beides muss bei Rückkehr in die Europäische Union rückgebaut werden, da dies illegal ist.
Zum Glück sind wir uns schnell einig, dass für uns ein Ausbau schon aus Prinzip nicht in Frage kommt: Wir haben uns mit Henk bewusst für ein Auto entschieden, das als Euro 6 Diesel die aktuell besten Emissionswerte hat. So viel wie wir momentan fahren, wollen wir da nicht im Ausland schwach werden und die Emissionswerte umgehen, um nun besonders belasteten Kraftstoff ohne Filter in die Athmosphäre zu jagen!

Wir nehmen es zunächst recht gelassen auf und sagen uns, dass es vielleicht ganz gut ist, dass uns die neue Situation zurück auf den Boden der Tatsache holt und uns zwingt, unsere Pläne einmal mehr über den Haufen zu werfen. Denn auch wenn wir stets versuchen, möglichst ohne Plan in den nächsten Tag und die kommenden Wochen zu leben, malen wir uns doch unwillkürlich aus, wie die weitere Route aussehen könnte. Gerade nachdem wir in Svanetien begeistert festgestellt haben, dass Henk auch Ruckelpisten meistert, die wir ihm anfangs in Ermangelung großer Bodenfreiheit nicht zugetraut hätten, hatten wir nun umso mehr das Gefühl, dass unsere Möglichkeiten grenzenlos sind und uns der Weg sogar bis nach Indien, Vietnam oder sogar Kambodscha offen steht! Nun umzudenken ist vielleicht gar nicht so verkehrt. Ein positiver Nebeneffekt ist zum Beispiel, dass wir kleine Länder wir Armenien unbewusst schon als Transitland auf dem Weg zu noch exotischeren Ländern betrachtet haben, während wir uns nun viel bewusster darauf freuen und zu schätzen wissen, dass wir uns hier mit dem Auto problemlos bewegen können.

Um es kurz zu machen: In der Theorie sind wir ganz groß darin, uns schnell in die neue Situation zu fügen und die Dinge positiv zu sehen. In der Realität können wir aber eine gewisse Enttäuschung nicht leugnen. Da hilft uns auch der kleine gescheckte Streuner nicht, der sich uns vorstellt, indem er sich in sicherer Entfernung erst einmal ausgiebig kratzt. Müssen wir anfangs noch über den kleinen `Krätze´ lachen, weicht unsere Belustigung bald echtem Mitleid. Denn erst als er sich mit letzter Kraft zu uns schleppt, sehen wir, wie sehr ihn die bösen Flöhe peinigen. Sein ganzer Körper ist mit dem Kot der Flöhe verkrustet und sein Fell hat er sich an vielen Stellen bis auf die wunde Haut abgenagt und aufgekratzt. Er ist in sichtbar schlechter Verfassung und mag nicht einmal von dem Ei essen, das Johannes ihm zu fressen gibt. Als Marie ihn gegen alle Vernunft (die Kleidung wird anschließend natürlich luftdicht verpackt bis wir eine Waschmaschine finden) auf den Schoß nimmt und er dort erschöpft einschläft, ist es mit ihrer Fassung endgültig vorbei und sie weint über einfach alles; angefangen mit unserem Einbruch, über die rastlose Fahrt nach Svanetien, wo wir mal aufgrund Maries, mal wegen Johannes Verfassung nicht so zum Wandern kamen wie wir uns das vorgestellt hatten, bis hin zu unserem `Schweinsgalopp´ ans Schwarze Meer zu diesem hässlichen Strand mit dem traurigen kleinen Krätzi, an dem wir noch dazu feststellen, dass wir uns mehr oder weniger am Umkehrpunkt unserer Reise befinden...

Zumindest der Austausch des Bildschirms ist ein kleiner Lichtblick und als wir am nächsten Morgen nach Batumi kommen, ist das Team des EVG Computerladens wie schon beim letzten Mal unglaublich herzlich und vor allem die liebe Ruska freut sich sichtlich, uns wieder zu sehen. Doch in Batumi selbst wollen wir auf keinen Fall bleiben. Gerade Johannes anstehenden Geburtstag wollen wir in schöner Umgebung feiern und daher heißt unser nächstes Ziel Kasbegi, ein Gebiet, das östlich von Südossetien im Kaukasusgebirge liegt.



Georgiens andere Seite


Nachdem wir bereits ans Schwarze Meer eine große Strecke an einem einzigen Tag zurückgelegt haben, wollen wir das nicht gleich wiederholen. Als Marie, der der kleinen Krätzi immer noch im Kopf herum spukt, auf der Gegenspur einen frisch angefahrenen Hund sieht, der kurz vor seinem Ableben noch einmal zittert, ohne dass man bei dem dichten Verkehr zu ihm gelangen könnte, hat sie ohnehin genug vom Auto fahren. Doch es ist wie verhext: Bedrückt wie wir gerade sind, haben wir keine Augen für die Schönheit um uns herum und dementsprechend erst recht nicht für schöne Lagerplätze. Hinzu kommt, dass wir überwiegend durch Gebiete fahren, die uns eine ganz andere Seite Georgiens zeigen als das hippe und landschaftlich umwerfende Svanetien. Wir fahren vorbei an verlassenen Dörfern, zerfallenden und dennoch bewohnten Häusern und etlichen stillgelegten Fabriken, deren Schornsteine trostlos in den Himmel ragen.

Wir ziehen unsere App iOverlander zu Rate und bekommen einige Plätze an einer kaum befahrenen Straße vorgeschlagen. Erwartungsvoll steuern wir diese an, doch dort angekommen, entpuppen sie sich als kleine Grünflächen zwischen den verlassenen Häusern einer Geisterstadt. Das kleine Waldstück, das wir als Übernachtungsplatz in Erwägung ziehen, wurde offenbar als Mülldeponie genutzt und ein Hundekadaver vervollständigt den traurigen Gesamteindruck. Einzig ein alter Streuner freut sich so sehr, uns zu sehen, dass sein ganzes Hinterteil beim Wedeln mit dem Schwanz hin und her schwankt. Er verschwindet hinkend direkt in den Bäumen um kurz darauf mit seinem Hundefreund wieder zu kommen, der sich offenbar eher in Deckung hält, da er mit seinen kaputten Gelenken kaum laufen kann. Wir lassen die beiden mit etwas Futter zurück und fahren schweigend weiter, bis wir endlich an einen See kommen, an dem zwar wiederum einiger Müll liegt, der uns aber nach unserer langen Fahrt wie das Paradies vorkommt.
Wie bestellt warten hier bereits zwei deutsche Pärchen mit ihren Vans auf uns und es wird ein wirklich lustiger Abend am Lagerfeuer.


Kasbegi

Christine und Benni wollen noch einen Tag hier bleiben, wir anderen fahren heute weiter Richtung Georgische Heerstraße, die nach Kasbegi mit Stepanzminda als Hauptstadt führt. Franzi und Halid schlagen uns vor, uns Freitag zu Johannes Geburtstag zu treffen und uns gefällt die Vorstellung, diesen Tag gemeinsam mit den zwei liebenswerten Chaoten zu feiern. Doch als wir etwas später als die beiden Richtung Kasbegi aufbrechen, kommen sie uns auf der Gegenspur schon wieder entgegen! Wir können uns das nicht recht erklären und schreiben die beiden später per WhatsApp an. Sie haben tatsächlich nicht noch einmal vor, in die Berge zu fahren und befinden sich bereits auf dem Rückweg zum See. Johannes zieht kurz in Erwägung, nach einer Nacht in Stepanzminda, die wir direkt oben an der berühmten Dreifaltigkeitskirche verbringen, ebenfalls umzudrehen und den beiden hinterher zu fahren. Doch Marie erhebt Einspruch: Wir haben schon Svanetien nicht so ausgiebig erkundet wie wir vor hatten und uns sehr auf die Berglandschaft des Kasbegi Gebiets gefreut. Da werden wir doch nicht nach einer kurzern Stippvisite umdrehen, ohne dass wir außer dem Tourismusort Stepanzminda irgendetwas gesehen haben! Da stimmt Johannes zu und wir genießen erst einmal den Sonnenaufgang über der kleinen Kirche hoch oben über dem Städtchen. Wir freuen uns, zum Übernachten spontan hier herauf gefahren zu sein, denn spät abends und früh morgens haben wir die berühmte Kirche ganz für uns. Als die Sonne über die Berge klettert, sind bereits einige andere Touristen dazu gekommen und von da an füllt sich der kleine Vorplatz rasch mit Autos. Schnell weg hier und einen schönen Frühstücksplatz suchen, was in dieser Landschaft nicht allzu schwer ist. Kurz hinter Stepanzminda biegen wir in die Berge ab und finden einen schönen Platz mit toller Aussicht in die Ebene.

Wie praktisch, dass es ganz in der Nähe einen schönen Wasserfall geben soll. Wir machen uns auf den halbstündigen Weg zum Fall und bleiben dort eine ganze Weile sitzen, um den Wassermassen zuzusehen, die hier bestimmt 20 Meter in die Tiefe stürzen.

Dann geht es weiter zur Trusoschlucht, deren Durchquerung als besonders schöne Wanderstrecke gilt. Bei der Einfahrt in die Schlucht stehen bereits etliche Autos und wir fahren noch etwas weiter, um uns ein einsameres Plätzchen für die Nacht zu sichern. Ehe wir uns versehen, befinden wir uns mitten auf dem `Wanderweg´ durch die Schlucht. Wer gezielt in diese Region fliegt, der wird die schmale Schotterstraße vielleicht als solchen betrachten, wer jedoch wie wir mit dem Auto durch Georgien fährt, der weiß, dass der angepriesene Wanderweg den Bedingungen einer ganz normalen Seitenstraße Georgiens entspricht, weshalb wir sie ohne zu Zögern befahren haben – Ausschau haltend nach dem eigentlichen Wanderweg, den es aber offenbar gar nicht gibt. Die Trusoschlucht ist von Wanderern hoch frequentiert und wir bemühen uns, wenigstens im Schritttempo an ihnen vorbei zu fahren, um sie nicht in eine Staubwolke einzuhüllen. Dennoch gibt es ein paar deutsche Wanderer, die sich wohl freuen, dass nach all den georgischen Autos, die hier entlang fahren, mal ein deutsches Auto vorbei fährt, über das man sich beruhigt aufregen kann, ohne als Gast den Einheimischen zu nahe zu treten. Eine deutsche Touristin stellt sich uns demonstrativ in den Weg und murmelt etwas davon, wie unsympatisch sie das fände...
Wir können den Unmut der Wanderer verstehen, die sich auf eine einsame Wanderung gefreut haben und stattdessen in regelmäßigen Abständen Autos Platz machen müssen, andererseits fühlen wir uns nicht wirklich schuldig: Wanderwege sind in Georgien bislang nicht wirklich ausgebaut – die Menschen laufen nun einmal gerade auf einer typisch georgischen Straße...

Am Ende der Straße durch die enge Schlucht öffnet sich das Tal zu einem wunderbaren Plateau, auf dem wir unser Nachtlager aufschlagen. Von hier aus machen wir uns auf zu einem ausgedehnten Spaziergang entlang weißer und ockerfarbener Sinterterrassen, die sich hier als große Felder gebildet haben. Bis zu den Ruinen eines kleinen Dorfes kann man wandern, dahinter beginnen wohl Grenzkontrollen, die Touristen zurückschicken. Wir möchten aber ohnehin zurück an unseren Lagerplatz, denn wir haben Hunger und kochen Pasta unter strenger Beobachtung von `Käpt´n´ und `Eierschecke´, zwei riesigen Hirtenhunden, die furchteinflößend bellen können, sobald sie in der Ferne etwas verdächtiges wittern, die aber zu Kuschelbären mutieren, wann immer wir sie kraulen. Kaum hören wir damit auf, wird unsere Hand energisch festgehalten um uns zu signalisieren, dass wir noch längst nicht genug gestreichelt haben.
Die beiden sind klasse und doch müssen wir immer wieder an unseren kleinen Freund Krätzi denken, den wir im Stich gelassen haben...

Inzwischen hat sich ein Pärchen dazu gesellt. Wiebke und Olek sind mit Zelt und Schlafsäcken ausgestattet, haben aber überhaupt nicht an Essen gedacht. Gut, dass wir in weiser Voraussicht mehr Nudeln als sonst gemacht haben.
Die beiden zu treffen ist sehr interessant, doch von Johannes unmittelbar bevorstehendem Geburtstag erzählen wir nichts. Irgendwie ergibt es sich einfach nicht und wir freuen uns, als wir ins Bett gehen und auf die Uhr schauen: Kurz vor 12! Also feiern wir an diesem wunderbaren Ort ganz allein zu zweit in den Tag und schütteln den Kopf darüber, dass wir letztes Jahr um diese Zeit nicht im Traum damit gerechnet hätten, dass unser Leben einmal so aussehen könnte.

Beim Frühstück leistet uns Wiebke Gesellschaft und der in Tiflis lebende Olek lädt uns ein, uns bei ihm zu melden, sollten wir am Wochenende in der Hauptstadt sein.

Wie mit Franzi und Halid vereinbart, fahren wir nun zurück an den See. Zwar gäbe es in Kasbegi noch so manche schöne Ecke zu entdecken, doch der Tourismus in dieser Gegend schreckt uns ab und vor allem die übervolle Heerstraße, auf der wir so manches gefährliche Überholmanöver beobachten können, lassen wir gerne hinter uns.


Zurück am See
Während wir Richtung See aufbrechen, erreicht uns eine Nachricht von Franzi, dass sie erneut weiter gefahren sind und heute Abend bereits in Tiflis sein werden. Das bedeutet zwar, dass wir einige Stunden des Tages im Auto verbringen werden, aber wir sind ja flexibel und nun eh schon unterwegs. Am See machen wir aber zumindest Mittagspause und erfrischen uns im kühlen Nass.
Hier warten wir nun eine ganze Weile auf Instruktionen von Franzi und Halid, wohin wir kommen sollen, doch bei den beiden läuft es heute einfach nicht. Sie fahren in Tiflis von Platz zu Platz, doch entweder ist es zu voll oder nicht besonders schön.

Auch wenn wir die beiden gerne noch einmal getroffen hätten, kommen wir nach ungefähr zwei Stunden überein, einfach hier am See zu bleiben, da es sonst allmählich zu spät ist und wir ungern im Dunkeln in der Hauptstadt ankommen wollen. Dafür haben wir mit Christine und Benni unser anderes `Seepärchen´ auf unserem Weg aus der Trusoschlucht getroffen, durch die sie heute wandern wollen. So klein ist die Welt – oder zumindest Georgien.

Wir suchen uns am Ufer ein schönes Plätzchen und treffen auf zwei Österreicher, deren Urlaub zu Ende geht und die uns daher Toilettenpapier, Bonbons und kleine Fingerpüppchen für Kinder überlassen. Bescheiden wie wir momentan leben, ist das für uns ein großer Schatz und das Toilettenpapier sogar vierlagig!

Wir verbringen den nächsten Tag gemütlich und ohne weitere Pläne. Johannes probiert das Schnitzset aus, das er zum Geburtstag von Marie geschenkt bekommen hat und sie erklärt eifrig, wie man die scharfen Werkzeuge benutzt ohne sich zu verletzen. Während Johannes konzentriert ans Werk geht, dauert es keine Minute, bis Marie, die sich ihrerseits an einem Stück Holz versucht, daran abrutscht und sich das scharfe Messer ins Handgelenk rammt. Wir erschrecken beide, können nicht gleich sehen, ob das Blut, das aus der tiefen Wunde rinnt, aus der Pulsader stammt. Das Messer hat diese jedoch zum Glück knapp verfehlt und Johannes kann die Blutung unter besorgten Flüchen schnell stillen.

Gegen Abend machen wir eine kleine Runde den See entlang zu dem Platz, an dem wir das letzte Mal standen. Wir genießen den Spaziergang, denken aber auch wieder an unseren kleinen Krätzi, der uns einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen will. Doch bevor trübe Gedanken an unseren Kleinen aufkommen können, machen wir eine Entdeckung, die uns einmal mehr zeigt, wie schön und überraschend das Leben unterwegs sein kann. Einfach alles ist möglich und schöne Überraschungen warten im wahrsten Sinne des Wortes hinter jeder Ecke – denn was wir ockerfarben hinter der nächsten Kurve hervor blitzen sehen ist nichts anderes als der Landy von Heike und Peter, denen wir vor ein paar Tagen den Standort geschickt haben, für den Fall dass sie hier vorbei kommen und ein schönes Plätzchen suchen!
Kurzerhand parken wir unseren Henk neben seinen großen Freund und freuen uns wahnsinnig, die zwei samt Bruno wieder zu sehen. Auch der einsetzende strömende Regen stört uns nicht im Geringsten, denn den Abend verbringen wir gemütlich bei Wein und Bier im Landy.

Es geht entpannt und harmonisch weiter: Morgens schwimmen im See, mittags lesen und einen Einkaufspaziergang ans andere Ufer machen, abends gemeinsam am Feuer kochen. Perfekt. Als wir nachts am Feuer sitzen, dem Knistern des Feuers und den Grillen lauschen, klingt von einer kleinen Picknikgruppe stimmungsvoller polyphoner Gesang aus den Boxen herüber und vervollständigt das wunderbare Bild, während wir hinter den Bergen Wetterleuchten wahrnehmen und sich auf der anderen Seite des Sees die wenigen Straßenlaternen im Wasser spiegeln. Kitschig schön.

Wir fühlen uns komplett erholt und bereit für neue Eindrücke. Neugierig auf die Hauptstadt Georgiens wollen wir heute weiter, doch den Aufbruch schieben wir bis nachmittags hinaus, da wir die letzten Stunden am See genießen und nicht unbedingt zur Mittagshitze im wesentlich heißeren Tiflis ankommen wollen. Der Übernachtungssuche sehen wir gelassen entgegen, da uns Heike und Peter mit einem kleinen Hostel einen guten Tipp gegeben haben.

Wir verabschieden uns herzlich und sind uns ganz sicher, die beiden nicht zum letzten Mal gesehen zu haben; wenn wir uns nicht auf der Reise noch einmal über den Weg laufen, dann spätestens wenn wir wieder zuhause sind.

Glücklich sind wir auch darüber, dass wir uns nun endlich entschieden haben, wie es mit unserer Reise als solcher weitergeht. Die letzte Woche haben wir anfangs mehrfach zwischen Extremen geschwankt wie „ach was, so schlimm wird das schon nicht mit dem Diesel, wir riskieren es einfach“ und „das können wir Henk und uns auf keinen Fall an tun, am Ende stehen wir mit irreparablem Motorschaden irgendwo in Südostasien und kommen nicht weiter“. Im Verlauf der letzten Tage mussten wir jedoch aufgrund von Johannes Recherchen und der konkreten Informationen zu Henks Aufbau durch unseren privaten Informanten Wulf mehr und mehr zu dem Schluss kommen, dass Henk für Diesel mit so hohem Schwefelgehalt wie im Iran einfach nicht gemacht ist. Wir sind inzwischen gar nicht mehr so traurig darüber, denn wir haben uns überlegt, im Falle einer Umkehr nochmals ans Schwarze Meer zu fahren um Krätzi zu holen – haben also die Wahl zwischen Südostasien oder Krätze und damit eine Win-win-Situation. Allerdings haben wir auch jede Menge brilliante Ideen, wie wir unsere Reise trotz der Dieselproblematik fortsetzen können: Zum Beispiel könnten wir einen Motorschaden vortäuschen und uns immer wieder ein Stückchen von netten Autofahrern abschleppen lassen. Oder wir spannen zwei bis vier Pferde vor Henk. Oder Kühe. Oder 75 m Igel, sofern sie sich ordentlich in 8er Reihen aufstellen lassen... *

Unsere finale Lösung ist nun die folgende: Wir nehmen genügend Treibstoff als Reserve mit, um mit gutem Diesel bis nach Sanandadsch kommen, dem Ort, in dem die Familie eines Verwandten wohnt. Dort, so hat er uns versichert, können wir Henk abstellen um von dort aus nur mit dem Rucksack durch den Iran zu trampen. Vor Ablauf unseres Visums holen wir Henk wieder ab und es geht zurück Richtung Westen, wo noch viele spannende Länder auf uns warten.

*Den Berechnungen liegt ein Igel-Durchschnittsgewicht von 1000 g zugrunde, welches der trainierte Zugigel zu ziehen in der Lage ist. Vor Henk passen 8 Igel in eine Reihe. Auf einen Meter Länge können 3 Igelreihen untergebracht werden. Henk wiegt mit uns und unserer Ladung ca. 1800 kg. 1800 / 3 / 8 = 75 m Gespannlänge.
 


Bald zu dritt?

Was wir von Tiflis sehen? Zunächst einmal nicht viel, denn Priorität hat für uns die erste richtige Dusche nach sechs Wochen und vor allem die erste richtige Waschmaschine nach ebenso langer Zeit! Wir duften wie der Frühling und fühlen uns wie vornehme Touristen, als wir losziehen um das nächtliche Tiflis zu erkunden. So lange zumindest, bis wir in eine Gegend kommen, in der hippe Cafes junge Leute anziehen, die allesamt besser gekleidet sind als wir zwei Landstreicher.

Das Viertel, in dem unser kleines Hostel liegt, gefällt uns gut. Die Häuser sind teils sehr heruntergekommen, doch haben mit hoch gezogenen Weinranken und bunten Wäscheleinen ihren eigenen Charme, zumal die Bewohner hier alles dafür tun, um es sich mit Kleinigkeiten hübsch zu machen.

Wir freuen uns schon, die Stadt morgen bei Tageslicht zu besichtigen, als uns erneut etwas unsere Pläne durchkreuzt. Denn zu der lustigen Truppe der Hostelbewohner, mit denen wir georgischen Wein und Bier trinken, gehören auch zwei Amerikaner, die seit zwei Jahren mit ihren Motorrädern durch die Welt reisen. Wir mögen die beiden, die einerseits lustige Zeitgenossen sind, andererseits aber auch nachdenklich über ihren Wandel sprechen, den sie innerhalb der letzten zwei Jahre durchlaufen haben. Sie haben etwas Sorge, wie es wird, nach so langer Zeit wieder nach hause zu kommen, sind aber auch froh, bereits neue Jobs in Aussicht zu haben. Uns geben sie mit auf den Weg, keine Einladung auszuschlagen und einfach anzunehmen, was auf einen zu kommt. Selbst diesem Motto folgend reisen die beiden seit kurzem zu dritt. In einem Gebüsch an ihrem Lagerplatz haben sie einen kleinen Welpen gefunden und nachdem sich die zugehörige Mutter auch nach drei Tagen nicht hat sehen lassen, haben sie die kleine Georgia einfach vorne in die Motorradjacke gepackt und mitgenommen. Inzwischen hat Georgia eine eigene kleine Box auf Aidas Maschine, ist geimpft und hat einen Hundepass, mit dem sie das Land verlassen darf. In Portugal soll sie dann bei Aidas Schwester bleiben. Das weckt Erinnerungen an unsere Begegnung mit Krätzi. Wir erzählen den beiden frischgebackenen Hundeeltern davon und gestehen, dass wir mit dem Gedanken spielen, zurück zu fahren um Krätzi mitzunehmen.
Als die beiden am nächsten Morgen mit krachenden Motoren vom Hof fahren, ruft uns Aida „Get your Puppie!“ zu und wir antworten mit einem entschlossenen „Yes!“

Wie es aussieht haben wir nun einen Auftrag.

Jetzt, da die Entscheidung gefallen ist, Krätzi abzuholen, können wir es kaum abwarten los zu fahren. Nicht einmal einen morgendlichen Stadtrundgang wollen wir machen, sondern packen so schnell wir können zusammen um einmal quer durch ganz Georgien zum Schwarzen Meer zu fahren. Mal wieder in die Gegend um Batumi und Johannes stellt schon einmal klar, dass es wirklich das letzte Mal ist, dass er auf dieser Reise ans Schwarze Meer fährt.
Wir kaufen etwas Hundefutter und Flohshampoo und dann geht es endlich los.

Wir sind total aufgekratzt und können kaum fassen was wir hier tun. Gegen Ende der fünfeinhalb stündigen Fahrt werden wir allerdings etwas schweigsamer. Wer sagt uns, dass wir Krätzi überhaupt finden? Vielleicht ist er längst an einen anderen Strand weiter gezogen. Seinen jämmerlichen Zustand bedenkend haben wir noch eine weitere Sorge, über die wir die ganze letzte Woche nachgedacht haben: Wer weiß ob der kleine Krätzi überhaupt noch lebt!

Erst im Dunkeln kommen wir an Krätzis Strand an, der noch immer genauso trostlos aussieht wie noch vor knapp zwei Wochen. Ein salzig feuchter Wind weht, der uns binnen weniger Minuten klebrig werden lässt und weit und breit ist nicht ein einziger der vielen Streuner zu sehen. Was für eine Schnapsidee von uns, zu glauben, unseren Kleinen hier einfach so wieder zu finden.
Aber noch sind wir zuversichtlich. Wir haben Zeit und werden alles dafür geben, Krätzi zu retten.

Am nächsten Morgen entwerfen wir einen Schlachtplan. Einer von uns sollte stets am Auto bleiben um den Strandabschnitt im Blick zu behalten. Der andere schwärmt aus und sucht an den Nachbarstränden und im Gebüsch nach dem kleinen Hund.

Kaum haben wir unsere Frühstückssachen aufgebaut, kommen schon die ersten Hunde – die bis dahin absolut unsichtbar waren – und unsere Hoffnung auf ein Wiedersehen steigt, als wir mit `der Füchsin´ einen Hund vom letzten Mal wieder erkennen. Und tatsächlich brauchen wir gar keine große Suchaktion starten: Noch während des Frühstücks kommt unser kleiner Krätzi um die Ecke und schaut uns erwartungsvoll und Schwanz wedelnd an. Wir sind überglücklich! Krätzi lebt und scheint sich etwas erholt zu haben, auch wenn er nach wie vor einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck macht und noch immer voller Flöhe ist. Der mit Hunden sonst so konsequente und strenge Johannes ist so voller Freude, dass es für die ganze Streunergruppe Leckerli regnet wie Bonbons an Fasching.

Nach dem Hundefrühstück erfolgt Teil 1 unseres ausgeklügelten Anti-Floh-Plans. Mit einem Nissenkamm durchkämmen wir sorgfältig Krätzis dünnes Fell, das ihm bei der Prozedur büschelweise ausgeht, sodass seine Hundehaut rosa durch scheint. Unzählige Flöhe holen wir aus Krätzis Fell, der das Ganze aber zu genießen scheint. Er zittert vor Genuss mit seinem Hinterlauf und schläft dabei am Ende sogar auf Johannes Beinen ein. Wir sind gespannt, was er zu Teil 2 unseres Plans sagt: Das Baden und Einseifen mit Flohshampoo gefällt ihm sicher weniger...
Doch unser Krätzi guckt nur verdutzt und lässt das Bad mit stoischer Ruhe über sich ergehen. Als wir ihn aus der dunklen Brühe heben, schüttelt er sich kräftig und schlendert dann gemütlich zu seinem Lieblingsplatz in der Sonne, um sich erst einmal richtig im Dreck zu wälzen.

Wir wollen ihn nicht gleich mitnehmen, sondern ihm etwas Zeit geben, uns kennen zu lernen und sich an uns zu gewöhnen. Als Belohnung hat er nach dem Bad eine Portion Feuchtfutter bekommen, bei dem er vor Begeisterung schier ausgeflippt ist, sodass wir uns sicher sind, dass er ab und an bei uns vorbei schauen wird.
Von wegen! Während die Füchsin oder Lisa stets unsere Nähe suchen und vor allem die Füchsin am liebsten den ganzen Tag gekrault werden möchte, beachtet uns der kleine Krätzi kaum.
Einen kompletten Tag haben wir nichts anderes im Kopf als Krätzi und sind sehr um seine Aufmerksamkeit bemüht. Doch satt gefuttert und endlich flohfrei entwickelt sich der kleine Krätzi bis zum Abend zu einem immer noch ziemlich heruntergekommenen, aber doch zufriedenen und munteren Einzelgänger.

Wir wollen es lange nicht wahr haben, doch schließlich müssen wir der Tatsache ins Auge blicken, dass wir Krätzi zwar unbedingt mitnehmen wollen, dass sich dieser aber vielleicht gar nicht mitnehmen lassen will. Auf einmal haben wir Skrupel, ihm seine Freiheit als Streuner zu nehmen und ihn aus seiner gewohnten Umgebung zu reißen.

Wir fragen Maries Mama nach ihrer Meinung und schreiben auch Heike und Peter als erfahrene Hundebesitzer. Mama Gillmann äußert ihre Bedenken, ob Krätzi sich später als Stadthund nicht unwohl fühlen wird und Heike und Peter fragen, ob wir sicher sind, dass Krätzi uns ausgesucht hat. Das müssen wir leider verneinen. Als er sich vor zwei Wochen mit letzter Kraft zu uns geschleppt hat um auf Maries Schoß einzuschlafen, hätten wir die Frage entschieden mit `Ja´ beantwortet. Doch etwas aufgepäppelt sieht er nun ganz so aus, als gehöre er genau hier her und würde sein jetziges Hundeleben für keinen Knochen der Welt gegen ein anderes eintauschen wollen.

In der Nacht träumen wir beide von Krätzi und schlafen schlecht. Doch am nächsten Morgen geben wir uns geschlagen: Wir lassen Krätzi tatsächlich hier.

Um ein zweites Bad kommt er allerdings nicht herum, obwohl er deutlich weniger Flöhe zu haben scheint und sich kaum noch kratzt. Auch das lässt er klaglos über sich ergehen, glänzt wie ein frisch polierter Penny, stürzt sich auf die Belohnung in Form von Hundefutter und verzieht sich dann wieder gemächlich Richtung Meer.

Als wir fahren, sind wir ehrlich traurig und sprechen auch die nächsten Tage ständig von unserem Kleinen. Doch gleichzeitig fahren wir mit einem guten Gefühl. Denn nicht wir haben entschieden, sondern der kleine Krätzi. Und je weiter wir uns vom Strand entfernen, desto leichter wird uns ums Herz: Wir haben getan was wir konnten, um ihn etwas aufzupäppeln und wenigstens kurzzeitig von den fiesen Flöhen zu befreien, sodass wir nun in dem Gefühl fahren, dass er klar kommen wird und sein Hundeleben genießt wie es ist.


Wir freuen uns auf eine letzte entspannte Woche in Georgien, dem Land, das uns mehrfach aus der Bahn geworfen hat um uns gleichzeitig die schönsten Begegnungen mit Menschen und Tieren zu bescheren... 

Wie gewohnt sind hier weitere Bilder zu finden: