Svanetien

Blick auf Ushguli

Henk trifft Landy

Es ist das erste Mal auf unserer Reise, dass wir ein Gebiet ansteuern, das nicht so richtig auf unserer Route liegt. Da wir kaum ein paar Tage im Voraus planen, haben wir zwar keine Route im eigentlichen Sinne, doch wer nach Svanetien fährt, dem ist klar, dass er sich in gewisser Weise in eine Sackgasse begibt. Denn das wunderbare Svanetien grenzt mit Südossetien und Abschasien an zwei Regionen Georgiens, deren Betreten für Touristen unter Strafe steht und die noch elf Jahre zuvor Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen waren. Inzwischen ist Svanetien zum friedlichen Eldorado für Wanderer avanciert und wir sind gespannt auf das Gebiet, von dem uns bereits viel vorgeschwärmt wurde.

Dreh- und Angelpunkt dieser Region ist die kleine Stadt Mestia, die einzig und allein über eine Straße entlang des Enguri erreichbar ist. Wir genießen die Fahrt und halten ein paar Mal, um einen Blick in die Schlucht mit dem donnernden grauen Gebirgsfluss zu riskieren. Nach einem netten Platz im Grünen Ausschau zu halten geben wir allerdings recht schnell auf; zu schmal und zu dicht am Berg entlang führt die Straße, als dass man hier mal eben `rechts raus´ fahren könnte. Das macht aber nichts, denn in Mestia mangelt es nicht an Guesthouses oder kleinen Hotels und auch einen netten Campingplatz soll es hier geben. Letzterer kommt uns gerade recht, denn außer dass es wunderschön hier sein soll und man von Mestia aus tolle Wanderungen unternehmen kann, wissen wir nicht allzu viel darüber, was uns erwartet. Sich auf einem Campingplatz mit anderen auszutauschen scheint uns daher eine gute Möglichkeit, heraus zu finden, welche Touren am besten zu uns passen. Je näher wir Mestia kommen, desto mehr Autos kommen uns entgegen, die wie Henk mindestens ein Reserverad mit sich führen. Da sind wir doch richtig! Doch kaum am Ziel, ist uns der Trubel fast schon wieder zu viel. Auf den ersten Blick scheint es fast, als bestünde dieser Ort lediglich aus Guesthouses und überall wimmelt es von bunten Rucksäcken samt ihrer durchtrainierten Träger.

Wir zögern noch, den sicherlich sehr vollen Campingplatz aufzusuchen, als wir eine Parklücke direkt vor einem toll umgebauten Landrover sehen und uns kurz entschlossen dazu stellen. Erst beim Aussteigen fällt unser Blick auf die Länderkennung: Deutschland. Zu unserer Freude tauchen die Besitzer in eben dem Moment auf, als wir losziehen wollen um Brot und etwas Gemüse zu kaufen. Irgendwie stimmt die Chemie einfach als wir mit Heike und Peter ins Gespräch kommen und als wir auf ihre Frage hin unser Zögern bezüglich des Campingplatzes kund tun, laden uns die beiden kurzerhand ein, sie auf eine versteckte grüne Wiese zu begleiten, die sie hier bereits vor einigen Tagen entdeckt haben. Es werden zwar Bedenken wegen unserer mangelnden Bodenfreiheit geäußert, da der Weg sehr schlecht zu befahren ist, doch mit einem prüfenden Blick auf Johannes fällt Peters Urteil positiv aus: „Die schaffen das.“ Wir freuen uns, dass uns der erfahrene Peter die Strecke zutraut, zittern aber doch ein wenig, als wir dem Landy hinterher fahren. Jetzt wollen wir uns natürlich keine Blöße geben...

Doch alles klappt wunderbar und wir bekommen eine wirklich schöne Wiese unterhalb einer ausgedienten Sprungschanze gezeigt. Endlich kriegen wir auch Bruno, den vierbeinigen und total lieben Begleiter der beiden zu Gesicht.
„Du hast grad nen richtigen Laberflash,“ meint Johannes zu vorgerückter Stunde schmunzelnd zu Marie und tatsächlich genießen wir es sehr, mit Heike und Peter am Lagerfeuer zu sitzen und ausgiebig zu quatschen. Wir hören aufmerksam zu, als Peter von seiner Selbständigkeit als Schreiner und dem Ausbau des Landrovers spricht und sind begeistert von Heike, die eher beiläufig von ihren Afrikareisen erzählt. Wie sehr uns die beiden beeindrucken, merken wir allerdings erst in den nächsten Tagen, wenn die beiden immer mal wieder Thema sind...

Am nächsten Tag können wir uns erst gegen Mittag losreissen und verabschieden uns herzlich von Heike und Peter, die weiter die Umgebung erkunden möchten. Zuvor erhalten wir noch wertvolle Tipps zur Fahrt in das sehenswerte Bergdorf Ushguli, die die beiden bereits hinter sich haben. Die Fahrt sei schon beschwerlich, doch für uns wohl noch machbar, sofern wir uns das selbst zutrauen.
Na klar tun wir das! Wenn Peter und Heike meinen wir schaffen das, dann schaffen wir das auch...

Wir fahren erst einmal zurück in die Stadt, doch irgendwie sieht der Weg ganz anders aus als bei der Herfahrt... Da sind wir doch wirklich auf den paar Hundert Metern nach Mestia falsch abgebogen! Johannes spricht aus, was wir beide denken: „Wie peinlich wär es jetzt, wenn Heike und Peter uns dabei sehen würden wie wir schon die ganze Zeit in die falsche Richtung fahren obwohl sie uns noch den Weg gezeigt haben.“ Kaum haben wir gewendet, kommen sie uns auch schon fröhlich winkend und in die richtige Richtung gestikulierend entgegen... Marie ist das egal, da sie ohnehin dafür bekannt ist, einen Orientierungssinn wie Toastbrot zu haben. Aber Johannes fuchst es schon ein bisschen: „Das kann doch jetzt nicht wahr sein, dass die beiden uns tatsächlich ausgerechnet jetzt entgegen kommen!“

Endlich in Mestia kaufen wir etwas ein und füllen unsere Wasserkanister auf. Danach sind wir jedoch etwas unentschlossen. Wir freuen uns aufs Wandern und die Fahrt nach Ushguli, andererseits sagen wir schon seit Tagen, dass wir endlich mal wieder einen schönen Platz finden wollen, an dem wir uns gleich für mehrere Tage niederlassen. Hinzu kommt, dass Maries Bienenstich, den sie sich am Morgen eingefangen hat, inzwischen auf eine heiße rote Fläche von stattlichen 20 Zentimetern Durchmesser angewachsen ist und bei jedem Schritt schmerzt. Also vertagen wir das Thema Wandern noch für ein paar Tage und fahren nach unseren Einkäufen einfach wieder zurück auf `unsere´ Wiese, um uns dieses Mal so richtig auszubreiten und einzurichten: Das Heckzelt wird ordentlich aufgebaut, die Feuerstelle optimiert, Wäsche gewaschen und Risse geflickt. Ganze drei weitere Nächte bleiben wir hier, gut abgeschirmt von allen vorbeikommenden Wanderern und erzielen damit einen neuen Rekord. 

Johannes sagt schon seit Rumänien, dass er einmal so lange an einem Platz bleiben will, bis er anfängt sich zu langweilen. Doch das schaffen wir auch hier nicht. Nicht solange genug Feuerholz für Johannes zum Zündeln herum liegt...




Holprig nach Ushguli

Wir wollen es nun endlich auch sehen: Das höchstgelegene noch dauerhaft bewohnte Dorf Europas, das versteckt am oberen Ende des Enguri Tals liegt und für seine Wehrtürme bekannt ist, über die fast jedes Wohnhaus verfügt, weshalb Teile des Ortes zum UNESCO Weltkulturerbe zählen.
Peters Einschätzung unserer (einschließlich Henks) Fähigkeiten im Gepäck, treten wir zuversichtlich den Weg auf unbefestigter Straße Richtung Ushguli an.

Schon bald hört der Asphalt auf und wird von einer Erd-, Sand-, Schlamm-, Geröll- und Schotterpiste abgelöst. Johannes steuert Henk durch ein Meer von Schlaglöchern, über Schlammfelder und durch kleine Gebirgsbäche, die den Weg kreuzen. Anstrengend ist auch der Verkehr, denn die kleinen Shuttle Services in Form von höher gelegten Mitsubishi Mini Vans kennen die Strecke natürlich in- und auswendig und versuchen dementsprechend selbst auf den schmalsten Abschnitten der meist einspurigen Straße zu überholen.
Doch Henk meistert die Strecke bravourös. Dank Johannes umsichtiger Fahrweise kratzt er nur ein paar Mal sachte mit der Plastikschürze des Unterbodenschutzes den Untergrund und hat ansonsten keinerlei Narben zu verzeichnen.

Vor Ort halten wir auf dem Parkplatz eines Cafes, wo wir auch die Nacht über kostenlos stehen dürfen. Bis in die Abenddämmerung streifen wir durch den Ort, dessen Häuser ausschließlich aus aufgeschichtetem Schiefer gebaut wurden und der mit seinen Türmchen und schmalen Gassen in der wunderbaren Berglandschaft wunderschön ist. Neben Hunden und Schweinen galoppieren (!) immer wieder Pferde mit und ohne Reiter durch die Gassen und man hat das angenehme Gefühl, dass hier das normale Leben weiter geführt wird, ohne dass auf uns Touristen besonders Rücksicht genommen wird. Dennoch stellt auch hier beinahe jede Familie das eigene Häuschen als Guesthouse oder den Garten als Zeltplatz zur Verfügung und in der Peripherie des Ortes wird gehämmert und gesägt, um kleine Hotels zu errichten. Zum Glück legen die vorwiegend vertretenen Wandertouristen keinen großen Wert auf SPA und Cocktail Bars und so beschränkt sich das touristische Angebot auf ein paar kleine Cafes, Pferdetouren und dem besagten Shuttle Service nach Mestia oder zum acht Kilometer entfernten Shkahara Gletscher. Da es Maries Stich endlich wieder besser geht, wollen wir letzteren erwandern und damit den Enguri, der uns nun schon durch ganz Svanetien begleitet, bis zu seiner Quelle verfolgen.

Der Weg führt durch das wunderschöne Enguri Tal und neben vereinzelten Autos sind Kühe, zwei entgegenkommende Wanderer und eine Pferdegruppe die einzigen, denen wir auf unserer Tour begegnen. Erst zwei Kilometer vor dem Gletscherfuß, wo der Aufstieg beschwerlicher wird und Autos nicht mehr weiter kommen, stoßen wir auf andere Wanderer, die sich von hier aus auf den Weg zum Gletscher machen.
Wir genießen diese kleine Wanderung sehr, wenngleich Johannes momentan nicht ganz fit ist.
Eine schöne Strecke zu einem wirklich sehenswerten Gletscher mit großer Gletscherhöhle. Besonders gut gefällt uns, dass die Gletscherzunge permanent in sichtbarer Bewegung ist. Ständig rieseln kleinere und größere Steine die Furchen des Gletschers entlang und ein paar Mal können wir richtige Felsbrocken abrutschen sehen. Umso erschreckender ist für uns die Leichtsinnigkeit der wenigen Menschen, die außer uns hier stehen. Während wir in sicherem Abstand von circa 100 Metern dieses Naturschauspiel bewundern, machen es sich zwei Familien in unmittelbarer Nähe des Gletschers bequem und zwei Männer posieren direkt vor der Gletscherhöhle, von deren Dach wir bereits einiges Geröll herabfallen gesehen haben!

Auf dem Rückweg überlegen wir, Wasser aus dem Bach zu trinken, doch Johannes ist unschlüssig, da Gletscherwasser so mineralienarm ist; da hilft auch ein Filter nichts und Mineraltabletten haben wir nicht dabei.

„Da wo vorhin die Autos gehalten haben war doch ein kleiner Kiosk,“ meint Marie. Und fügt vorsorglich hinzu: „ Es ist ja keine Schande, dort Wasser zu kaufen...“
„Ich glaube das Gletscherwasser kann man schon trinken,“ ist Johannes Antwort.
„Du würdest doch lieber riskieren, Bauchschmerzen zu bekommen, bevor du dir da was am Kiosk holst, oder?“
„Ja.“ So lautet Johannes promte Antwort.
„Aber würdest du auch lieber riskieren, dass ich Bauchschmerzen bekomme, bevor du was am Kiosk holst?!“

Wir trinken eine Limonade und ein kühles Bier am Kiosk...




Fett in Fett mit Fett 


Bauchschmerzen gibt es für Johannes dann leider doch noch. Nachdem wir die Georgische Küche am Vorabend in den höchsten Tönen gelobt haben, kehren wir auch heute wieder in das Cafe ein, auf dessen Parkplatz wir stehen, auch um uns erkenntlich dafür zu zeigen, dass wir hierfür nichts zahlen müssen. Den ein oder anderen des Personals kennen wir bereits ein wenig, da am gestrigen Abend der komplette Strom im Ort ausgefallen ist und das gesamte Restaurant für einige Zeit in völliger Dunkelheit lag, bis wir der Küche unsere Stirnlampen zur Verfügung gestellt und auch im Gastraum eine kleine Lampe aufgestellt haben. Wir müssen zugeben, dass es uns gestern bei schummriger Beleuchtung besser gefallen hat. Nun ist der ganze Raum hell erleuchtet und über einen großen Fernseher an der Wand werden per Youtube HipHop und Chart-Musikvideos in voller Lautstärke abgespielt.

Dafür ist Johannes heute in Probierlaune und bestellt Schweinerippen. Doch das, was er nun serviert bekommt, ist nicht gerade das, was er erwartet hat: In einem Töpfchen, das halb mit flüssigem Fett gefüllt ist, schwimmen fünf große Stücke Fleisch – oder vielmehr Fett, denn an dem Knochen ist fast ausschließlich weiße Schwarte. Tapfer futtert sich Johannes durch sein Gericht und ist dabei dankbar für ein paar Stück Brot von Marie als Beilage. Zwar schmeckt es wohl viel besser als befürchtet, doch als `Reisevegetarier´, die sich unterwegs hauptsächlich von Reis, Bulgur oder Nudeln mit Gemüse ernähren, sind wir so fettige Speisen einfach nicht mehr gewohnt und Johannes kämpft die ganze Nacht mit Magenkrämpfen. Dafür hat Marie ihn selten so erleichtert und glücklich erlebt wie nach seinem Besuch der Herrentoilette am nächsten Morgen. Auch wenn wir uns sonst mit Intimitäten in unserem Blog zurückhalten, möchten wir den folgenden Satz dem geneigten Leser nicht vorenthalten: „Ich fühle mich, als hätte ich ein Alien geboren und jetzt müssen noch die Wunden verheilen...“




Heimspiel 


Wir überlegen trotzdem, ob Johannes Magen am Abend schon wieder für Völlerei bereit ist, denn wir wollen Richtung Mestia zurück, wobei uns Heike und Peter von einem Guesthaus in Zabeshi vorgeschwärmt haben, dessen Gastgeber unheimlich nett sein sollen und wo wir mit Henk auf der Wiese vor dem Haus nächtigen können. Wirklich entschließen wir uns, nach der holprigen Strecke von Ushguli mit Henk nach Zabeshi weiter zu ruckeln. Die Gastgeber sind tatsächlich sehr nett, öffnen Henk bereitwillig das Tor und fragen uns, ob wir an Dusche und Abendessen interessiert sind. Auch die Waschmaschine könnten wir benutzen und für kurze Zeit fühlen wir uns dem Paradies ganz nah. Bis Johannes siedend heiß einfällt, dass wir in Ushguli zwanzig Euro weniger eingetauscht haben als wir vor hatten! Gerade einmal umgerechnet fünf Euro fehlen uns zum Glück und wir müssen den Hof unverrichteter Dinge wieder verlassen. Das Ganze ist uns ziemlich unangenehm, zumal wir so freundlich begrüßt wurden. Doch auch im einzigen Geschäft im Ort können wir keine Euros tauschen und um bis nach Mestia und wieder zurück zu fahren ist es schon zu spät. Wir sind etwas zerknirscht, feiern dann aber doch begeistert Wiedersehen mit unserem alten Lagerplatz, den wir kurzerhand aufsuchen und bis auf etwas neuen Müll noch so vorfinden wie wir ihn ein paar Tage zuvor verlassen haben. Sogar die kleine zutrauliche Maus, die uns bei am Lagerfeuer Gesellschaft geleistet hat, lässt sich wieder blicken und bringt sogar einen kleinen Mäusefreund mit. Der Fuchs, der urplötzlich aus dem Dunkel auftaucht und ihr an ihrer Wohnung direkt am Feuer auflauern will, hat die Rechnung ohne Johannes gemacht, der ihn aus drei Metern Entfernung etwas erschrocken und dementsprechend laut fragt, was er hier macht. Er verkrümelt sich auf die Sprungschanze oberhalb der Wiese und schaut beleidigt auf Johannes herab. Und damit ist auch die zweite Mäuserettung dieser Reise erfolgreich verlaufen.

Mit unserer Rückkehr zu unserem Stammplatz hat sich der Kreis Svanetien geschlossen. Wir sind weniger gewandert als wir es uns vorgenommen haben, sind aber landschaftlich dennoch voll auf unsere Kosten gekommen, haben wieder nette Menschen kennen gelernt und verlassen die Region etwas wehmütig auf dem selben Weg über den wir sie erreicht haben: Über die Straße entlang des Enguri , den wir nun sowohl als kleinen Gletscherbach wie auch als reißenden Gebirgsfluss kennen gelernt haben.


Die kleine Käsemaus

Weitere Bilder aus Svanetien:
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