Georgien zweiter Anlauf

Neuanfang

Eine gute Entscheidung, die kleine Grenze bei Türkgözü zu wählen. Das ganze Prozedere läuft sehr gemütlich ab und bereits eine halbe Stunde später verlassen wir die Grenzstation – nicht ohne vorher Tipps des Grenzbeamten bezüglich georgischen Essens zu erhalten...

Uns zieht es Richtung Svanetien, eine Region, die für ihre schönen Wanderwege bekannt ist. Bei einem Blick auf die Karte entscheiden wir uns, nicht die große Straße zu fahren, sondern einen kürzeren Weg zu nehmen, der mitten durch die Berge führt. Großen Schlaglöchern ausweichend und eine Staubfahne hinter uns her ziehend schaffen wir uns die Berge hinauf und wählen schließlich ein Plateau über den Wolken für unser zweites erstes Nachtlager in Georgien aus. Beim Spazieren erklettern wir einen Felsen um dort zu picknicken und genießen die Aussicht auf grüne Berge rings umher. So haben wir uns Georgien vorgestellt! Hier oben treffen wir wenig Menschen, dafür aber viele Tiere. Schweine und Kühe besuchen unseren Lagerplatz und besonders schön ist es, wenn Pferde aus dem Nebel auftauchen und hier grasen. Die wenigen Menschen, die wir sehen, sind vor allem Rinderhirten, die ihre Arbeit zu Pferde erledigen. Immer mal wieder hören wir Hufgetrappel und dann ein Rufen, dessen Echo von den umliegenden Bergen hallt.

Nachdem Henk am nächsten Morgen vom Berg herabgeklettert ist, fahren wir auf Landstraßen durch Ortschaften und staunen über den Zustand der Straßen. Streckenweise sind sie gar nicht mal so schlecht, aber kaum wird man etwas unkonzentrierter rummst man ins nächste Schlagloch. Etwas erschrocken sind wir, als wir mitten auf unserer Spur urplötzlich zwei große Fahnen aus der Straße ragen sehen. Da dachte sich wohl jemand, dass Fahnen leichter zu erkennen sind als Schlaglöcher und hat gleich zwei davon in ein besonders tiefes Loch gesteckt... Vor allem die Straßenränder sind ganz schön ausgefranst und teilweise komplett weggebrochen. Entsprechend fahren die meisten Georgier vorsorglich auf dem Mittelstreifen, wo die Fahrbahn noch am besten ist – auch in engen Kurven, was uns immer wieder fluchen lässt. Johannes gibt in stoischer Gelassenheit seine neueste Weisheit zum besten: „Es gibt momente im Leben, da musst du dich entscheiden, ob du mit dem rechten oder dem linken Reifen durch ein Schlagloch fährst.“

Wir brauchen eine Weile, um einen schönen Platz zu finden, und erreichen endlich einen schöne Wiese im Okatse Canyon. Nur 500 Meter weiter soll es einen Wasserfall geben, an dem man direkt parken kann, doch riesige Wasserlachen und die weggebrochene Fahrbahn versperren uns den Weg. Also lassen wir Henk stehen und machen uns zu Fuß auf den Weg Richtung Wasserfall. Es ist ernüchternd, was für Autos uns auf dem Weg dorthin überholen; die ältesten Schrottmühlen fahren durch die tiefen Pfützen als wäre es nichts und brettern über die Geröllpiste, die wir – wenn wir es denn gewagt hätten – maximal in Schrittgeschwindigkeit in Angriff genommen hätten. Wir lieben Henk und wissen um seine Stärken. Doch Bodenfreiheit gehört eindeutig nicht dazu!

Aber wir lassen uns nicht entmutigen, denn wir merken beim Lotsen über besonders kniffelige Stücke, dass wir unser Fahrzeug immer besser kennen lernen und haben inzwischen Tricks parat, die wir zu Beginn unserer Reise noch nicht kannten. Wenn es gar nicht mehr geht, drehen wir eben um, schauen einfach mal, wie weit wir kommen.
Marie sieht nachdenklich einem alten Auto hinterher, dem wie vielen seiner georgischen Kollegen für mehr Bodenfreiheit vor der Vorderachse der komplette Kühlergrill samt Stoßstange abgenommen wurde: „Meinst du, Henk würde das auch stehen...?“

Mit solchen Gedanken erreichen wir den Wasserfall, der malerisch in ein Naturbecken fällt. Kaum sind wir hier, füllt sich der Platz mit weiteren Besuchern, denn der Wasserfall ist als Sehenswürdigkeit und Picknickplatz beliebt. Wir schleichen uns davon, kommen jedoch am nächsten Morgen noch einmal wieder. Jetzt haben wir den Ort ganz für uns alleine um unter dem Wasserfall zu duschen...


Besuch

Schon bei unseren Gastgebern bei Batumi haben wir gelernt, dass Alkohol in Form von Bier, dem besagten Tschatscha oder dem berühmten Georgischen Wein einfach dazu gehört. Nach ein paar Wochen in der islamisch geprägten Türkei ist das für uns ungewohnt, vor allem für Johannes aber durchaus angenehm. Dass wir aber gleich in den ersten Tagen auf ein Gespann treffen, das offensichtlich auch beim Fahren nicht aufs Trinken verzichten will, finden wir dann doch bedenklich und nehmen uns fest vor, in Georgien besser nicht nachts Auto zu fahren.

Trotzdem ist die Begegnung mit unseren zwei nächtlichen Besuchern witzig. Der ältere der beiden kommt wild gestikulierend und laut erzählend auf uns zu, während sein junger Kompagnion fortwährend kichert und versucht, Haltung zu bewahren. Wir verstehen nicht viel, doch kommen irgendwann dahinter, dass der Mann, der nicht nachvollziehen kann, weshalb wir noch nicht verheiratet sind, eine Art Predigt hält um uns an Ort und Stelle miteinander zu vermählen. Sein Kamerad wirft sich weg vor lachen und wir beide werden am Ende der Zeremonie von dem ziemlich betrunkenen Kerl zusammengeschubst und sollen uns wohl küssen.
Ein harmloser Spaß, doch als die beiden zurück zu ihrem Auto gewankt sind, versäumt Johannes es nicht, noch einmal darauf hinzuweisen, dass diese Ehe ja nicht offiziell geschlossen wurde...

Etwas kritischer ist eine Begegnung am darauffolgenden Abend. Wir haben eine schöne Wiese auf einem Hügel entdeckt und sind gerade beim Kochen auf unserem Feuer, als auf einmal ein alter Lada mit quietschenden Reifen eine Vollbremsung hinlegt, sodass wir uns erschrocken umsehen und uns fragen ob wir hier verbotenerweise stehen. Doch der bärtige alte Thoma will nur `Hallo´ sagen und hat, betrunken wie er ist, einfach seine Körperreaktionen nicht mehr ganz im Griff. In der Hand hält er eine 2l Flasche Bier und Johannes sieht sich in der Pflicht, ihm einen Großteil davon weg zu trinken um Thoma nicht die Chance zu lassen, noch betrunkener zu werden. Sehr edelmütig und selbstlos...

Thoma erzählt in einer Tour und da wir anders ohnehin nicht weiterkommen, antworten wir ihm eben auf Deutsch. Es wird eine angenehme Unterhaltung, bei der zwar keiner auch nur ein einziges Wort von dem versteht was der andere sagt, bei der aber beide Seiten los werden was ihnen so durch den Kopf geht. Zwischendurch greift Thoma in die Pfanne mit Essen um sich seinen Anteil abzuholen und lässt sich auch vom immer heftiger werdenden Regen nicht erschüttern. Wir dagegen würden uns allmählich gerne in unseren Henk verziehen, haben aber Skrupel, den stockbesoffenen Thoma einfach so weiterfahren zu lassen, zumal die wenig befahrene Seitenstraße voller Schlaglöcher ist und direkt am Abhang entlang führt. Doch als Thoma sich entschließt zu gehen, ist er nicht mehr aufzuhalten und ignoriert unseren Vorschlag, sich doch im Auto ein wenig auszuschlafen. Sein alter Lada rumpelt und kracht um gleich darauf wieder auszugehen. Das Ganze wiederholt sich ein paar Mal und als wir ihm über die Schulter sehen, stellen wir fest, dass er gar keinen Schlüssel hat und den Wagen versucht kurz zu schließen!

Das volle Ausmaß seiner Trunkenheit wird uns erst jetzt so richtig bewusst. Beim Erzählen am Lagerfeuer konnte sich der alte Mann noch halbwegs zusammenreißen, doch hier im Auto haben wir kein gutes Gefühl, als er mit fahrigen Bewegungen versucht mal diese, mal jene lose Kabel zusammen zu bringen um loszufahren. Als er von seiner Tochter angerufen wird nehmen wir ihm ohne großen Protest sein Handy weg und versuchen ihr zu erklären wo ihr Vater gerade ist. Leider reißt die Verbindung ab und Johannes Nachricht an sie, in der er ihr den Standort via Google Maps schickt, kommt leider nicht durch.

Wir entscheiden uns, Schicksal zu spielen und dafür zu sorgen, dass Thoma heute keinen Meter mehr fährt, indem wir seine Räder kurzerhand mit Steinen blockieren. Zwar ist uns klar, dass der gute Mann sicher nicht zum ersten Mal betrunken am Steuer sitzt, doch nachdem er beim Versuch loszufahen jedes Mal vergisst, die Handbremse anzuziehen und so bereits einige Meter rückwärts den Hang hinunter gerollt ist, haben wir keine Hemmungen, diese radikale Maßnahme zu ergreifen. Die wenigen Autos, die hier vorbei kommen, halten wir an und tatsächlich kennt ein freundlicher Herr unseren Thoma und ruft lachend dessen Verwandte an, die ihn abholen sollen.

Es regnet inzwischen in Strömen und wir beobachten Thoma, der nach weiteren vergeblichen Versuchen sein Auto zu starten schließlich einschläft, vom Henk aus weiter. Abgeholt wird er lange nicht, doch irgendwann hält ein Bus, der ihn offenbar mit nimmt.
Wir sind erleichtert und lachen über die absurde Situation. Der alte Mann war uns selbst im Suff irgendwie sympatisch und am nächsten Morgen müssen wir ihm aufrichtig Respekt zollen: Noch bevor wir aufgestanden sind, ist Thoma zurück um sein Auto abzuholen, dass die ganze Nacht einfach auf dem Weg gestanden ist. Bei so einer durchzechten Nacht lägen wir jetzt garantiert noch mit Kater im Bett...

Schon verrückt, dass wir gleich zu Beginn unseres `zweiten Anlaufs´ an zwei aufeinander folgenden Abenden Begegnungen haben, bei denen die Akteuere dem Klischee georgischer Trunkenbolde mehr als gerecht werden. Allerdings möchten wir keineswegs den Eindruck erwecken, dass Georgien nur von `Suffköppen´ bevölkert wird! Immerhin haben wir schon einige sehr nette Begegnungen gehabt, bei denen kein Alkohol im Spiel war und selbst bei unseren lieben Gastgebern, von denen wir im letzten Beitrag berichtet haben, gab es zwar reichlich Tschatscha zum Abendessen, aber das sicherlich auch, um augenzwinkernd die Belastungsgrenze der ausländischen Gäste zu erproben. Weder Ramin, der seine Abstinenz mit dem Hobby Wrestling erklärte, noch sein Freund, der später mit dem Auto nach Hause fahren wollte, haben an diesem Abend Alkohol getrunken.

Der schöne Platz wird uns übrigens noch wegen etwas anderem als Thoma in Erinnerung bleiben: Als wir uns am nächsten Tag bei strahlendem Sonnenschein auf der Wiese ausbreiten, packen wir unseren neuen Laptop aus um ihn ordentlich einzuweihen. Während Marie am Bach in der Nähe Wäsche wäscht, baut Johannes als Sonnenschutz das Tarp auf und richtet Marie darunter einen richtig gemütlichen Arbeitsplatz mit Computer ein. Doch bevor dieser in Betrieb genommen werden kann, zieht heftiger Wind auf und eine Böe reißt einen Hering aus der Verankerung – der mit voller Wucht genau den Bildschirm trifft. Gerade einmal eine Woche alt zeigt der Display des Laptops nun in der linken oberen Ecke nur noch Bildfehler an. Das gibts doch nicht! Zum Schreiben geht es gerade noch, doch schnell ist klar, dass sich der Schaden weiter über den Bildschirm ausbreitet und so rufen wir nochmals in dem netten Computerladen in Batumi an. Das Austauschen ist wohl kein Problem und auch nicht wahnsinnig teuer, doch dazu müssten wir natürlich erneut nach Batumi. Irgendwie kommen wir von dieser Stadt nicht los... 


Doch Überlegungen in diese Richtung verschieben wir vorerst noch auf unbestimmte Zeit. Jetzt geht es erst einmal auf nach Svanetien. Und dort kommen wir sowohl landschaftlich als auch kulinarisch voll auf unsre Kosten!

Hier wieder weitere Bilder: