Türkei II - auf Asiatischer Seite nach Pamukkale

Denkwürdige Begegnungen

Was folgt auf Stadt? Richtig: Natur.
Wir haben über die App iOverlander einen hübschen Platz an einem See entdeckt, zu dem wir nun fahren. Allerdings stellt uns die entsprechende Ausfahrt vor ungeahnte Herausforderungen: Da sollen wir doch direkt auf der Autobahn per U-Turn drehen und damit einfach die Gegenspur queren! Das schaffen wir zwar, aber als wir dann wegen einer Baustelle trotzdem an der Ausfahrt vorbei fahren und das Ganze wiederholen sollen, streiken wir und entscheiden uns kurzerhand, einfach die nächste Abfahrt zu einem kleinen Ort am See zu nehmen. Wir sind überrascht, als wir direkt am Ortseingang aufgefordert werden, fünf Lira Parkgebühren zu zahlen und per Auto nicht weiter zum Ortskern vordringen zu können. Da der Parkwächter kein Englisch spricht und sich hinter uns bereits eine kleine Schlange Autos gebildet hat, zahlen wir den Betrag und sind gespannt, ob es einen Grund dafür gibt. Tatsächlich steht der große Parkplatz voll mit Autos, deren Insassen Richtung Ortsmitte strömen. Wir schließen uns einfach an und schlendern durch die Hauptstraße des kleinen Ortes, an der die Bewohner kleine Stände mit Obst, Gemüse, Säften oder Gözleme aufgebaut haben. Dann kommen wir auf einen größeren Platz, auf dem eine Moschee steht, sowie eine wirklich riesiger Baum, den wir nicht eindeutig bestimmen können (Wir warten auf Hinweise unserer Botaniker). Eine kleine Brücke führt malerisch zur eigentlichen Attraktion; einem kleinen Fischerdorf auf einer Halbinsel. Kleine gemütliche Restaurants und Eisstände stehen ebenso bereit wie etliche kleine Boote, die die Besucher auf dem See herum schippern.

Wir sind in einem Touristenort gelandet! Allerdings handelt es sich hier um eine Sehenswürdigkeit, die sich vor allem bei den einheimischen Türken großer Beliebtheit erfreut. Als einzige Europäer werden wir zum ersten Mal auf dieser Reise als die Fremden neugierig beäugt. Wir drehen eine Runde um die hübsche Halbinsel und folgen dann einem handgeschriebenen Schild mit `Gözleme´ einer Treppe durch Olivenbäume hinauf zu einem kleinen Haus. Die Außentreppe zum Obergeschoss erscheint uns sehr privat und wir zögern, sie zu betreten. Doch ein paar alte Frauen, die nähend und erzählend auf der Straße sitzen, bedeuten uns lachend, ruhig hoch zu gehen.
Oben angekommen stehen wir auf einer großen überdachten Terrasse mit Seeblick und vielen kleinen Tischen, von denen momentan nur einer mit einer Gruppe junger Frauen besetzt ist. Eine von ihnen hilft uns auf Englisch beim Bestellen und der freundliche Besitzer des Restaurants ruft seine Frau, uns frische Gözleme zu machen (die besten übrigens die wir je gegessen haben).
Sie kommt auf uns zu und fragt etwas auf türkisch, weshalb Marie nur lächelnd die Achseln zuckt. Daraufhin lacht sie, nimmt Maries Kopf in beide Hände und drückt ihr einen dicken Kuss auf die Stirn. Neugierig streichelt sie Maries unbedeckte Schulter und am Nachbartisch wird wohlwollend gekichert. Die Mädchengruppe verlässt das Lokal und wir sind die letzten Gäste. Inzwischen läuft in einer Ecke mit Couchgarnitur leise der Fernseher und wir vermuten, dass wir uns nicht nur im Gastraum sondern gleichzeitig im Wohnzimmer der beiden Gastgeber befinden. Wir wollen die beiden daher nicht allzu lange stören und bald gehen, doch neben der bestellten Gözleme und Ayran bringt uns der Wirt Oliven (wobei er stolz auf den Olivenhain im angrenzenden Garten zeigt), Tomaten und zum Nachtisch Melone. Cay gibt es natürlich sowieso. Per Google Translator kommt sogar eine kleine Unterhaltung zustande und als wir uns zum Abschied nochmals herzlich bedanken, geschieht dies unter vielen `Salams´ und `Inshallahs´. Marie bekommt noch ein kleines Sträußchen mit Basilikum und wilden Röschen vom Balkon in die Hand gedrückt und unsere liebenswerten Gastgeber winken uns bis wir außer Sichtweite sind.
Beschwingt und strahlend gehen wir zurück zu Henk und holen in unserem Übermut sogar noch ein Eis für Marie und selbstgemachten Brombeersaft.

Dass Begegnungen mit Einheimischen auch etwas anders verlaufen können, stellen wir am nächsten Tag fest. Wir fahren wegen schlechten Wetters ziemlich lange und kommen abends sogar noch bei unserem nächsten Ziel Pamukkale an. Da der Ort aufgrund der einmaligen Kalksteinterrassen extrem touristisch sein soll, versuchen wir gar nicht erst, uns einen kostenlosen Platz irgendwo am Stadtrand zu suchen, sondern steuern direkt einen Acker an, der einer türkischen Familie gehört und laut iOverlander gegen circa 20TL als Stellplatz für die Nacht genutzt werden kann.
Bestärkt durch die schöne Begegnung am Vorabend freuen wir uns auf die Familie, mit der wir sicher ins Gespräch kommen werden. Wir finden das als Cafe ausgeschilderte Grundstück ohne Probleme und der freundliche und gut englisch sprechende Wirt fordert uns auf, auf den mit Teppich ausgekleideten Stufen vor dem kleinen Häuschen Platz zu nehmen. Hier sitzen bereits seine Frau und zwei alte Mütterchen, die uns ebenfalls sehr freundlich anlächeln und zunicken. Da der Wirt zu anderen Gästen auf der Terrasse verschwindet, bevor wir Gelegenheit haben, mit ihm über den Preis für die Nacht zu reden, sitzen wir nun unbeholfen da. Damit die Situation nicht komisch wird, bestellen wir eine Gözleme und zwei Cay. Eigentlich wollten wir erst einmal den Übernachtungsplatz klar machen und dann in die Stadt fahren um Geld abzuheben und uns etwas umzusehen, doch der Hausvater beteuert, es mache nichts wenn wir erst später Geld holen um zu bezahlen. Nachdem wir recht schweigsam unsere Mahlzeit verspeist haben, fragt Johannes, ob wir auf dem großen Parkplatz vor dem Haus (wie in der App beschrieben) nächtigen können. Und in diesem Moment kippt die Stimmung: Der Mann sieht Johannes unschlüssig an, schaut dann zu seiner Frau und übersetzt unsere Anfrage auf türkisch. Die Frau steht daraufhin ruckartig auf, zieht die Augenbrauen hoch und schaut angewidert in unsere Richtung. Schließlich macht sie eine wegwerfende Bewegung, dreht sich demonstrativ um und geht ins Haus. Wir sind vor den Kopf gestoßen. Haben wir etwas falsch gemacht? Wir sind uns zumindest keiner Schuld bewusst... Der Wirt versucht nun, die Situation zu retten, indem er uns höflich einen kleinen, etwa fünf Kilometer entfernten Campingplatz anpreist. Doch jetzt haben wir noch das Problem mit dem fehlenden Kleingeld – wir hatten ja vor, nach dem Abheben hierher zurück zu kommen! Wir kratzen alles verbleibende Münzgeld zusammen, murmeln ein schnelles `tesekkür´ und machen dass wir weg kommen.

Auf dem Weg zum Campingplatz sind wir sehr still. Noch nie hatten wir das Gefühl, so unwillkommen zu sein! Doch nachdem wir uns etwas gefangen haben, versuchen wir der Situation durch Überlegung auf den Grund zu gehen. Der Eintrag in der App liegt immerhin schon zwei Jahre zurück und ist von einem Reisenden geschrieben, der überschwänglich die Gastfreundschaft der Familie lobt. Bei dem Touristenansturm in Pamukkale bei gleichzeitig wenig kostengünstigen Möglichkeiten, die Nacht in seinem eigenen Gefährt zu verbringen, können wir uns gut vorstellen, dass sich die Anfragen mit diesem Eintrag schnell gehäuft haben dürften und die Familie sich in ebendieser Gastfreundschaft ausgenutzt gefühlt haben könnte. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen und nehmen uns vor, solche Einträge in Apps in Zukunft vorsichtiger zu lesen. Denn tatsächlich ist auf dem Wegweiser zum Haus lediglich von einem Cafe, nicht von Übernachtungsmöglichkeiten die Rede. Und so ist vermutlich aus einem einmaligen netten Angebot der Familie eine selbstverständliche Forderung der App-Nutzer geworden, die als unverschämt gewertet werden kann. Trotz alledem sind wir beide der Meinung, dass man uns auch freundlicher hätte abweisen können und sind umso erfreuter, als der ältere Betreiber des Campingplatzes äußerst freundlich ist. Wobei wir am Abend noch keine Ahnung davon haben, wie sehr wir diese Freundlichkeit am nächsten Tag noch zu schätzen wissen werden...



Frühstück mit Hindernissen
1. Feuer vom Vorabend schüren oder alternativ den Kocher anschmeißen.

2. Wasser zum Kochen bringen.

3. Filter in den Platz und Gewicht sparenden Gummifilter stecken und nach Belieben mit Kaffeepulver füllen

4.Mit etwas Geduld das Wasser durchlaufen lassen

5. Genießen

So sieht Johannes tägliche Kaffeezeremonie aus. Doch nicht an diesem Morgen. Denn beim Wasser aufsetzen stellt Johannes fest, dass etwas mit dem Benzinkocher nicht stimmt. Schon seit einigen Tagen riecht es im Auto immer wieder leicht nach Benzin, sodass wir davon ausgehen, dass eine Dichtung kaputt ist. Doch wie es aussieht, scheint es etwas ernsteres zu sein und als Johannes den Pumpenkopf mit neuen, frisch geölten Dichtungen versieht und alle Teile inspiziert, stellt er eine Leckage am Nadelventil fest. So ein Mist. So viele Ersatzteile dabei, aber die Pumpe können wir damit nicht reparieren, da ausgerechnet ein weiteres Nadelventil fehlt. In der Hoffnung, die Pumpe mit etwas mehr Drehmoment am Gewinde des Nadelventils dicht zu bekommen, passiert es: Das Außengewinde am Kunststoffgrundkörper der Pumpe bricht irreparabel ab. Ein typischer Konstruktionsfehler von Kunststoffteilen ist hier ärgerlicherweise die Ursache, da die Rundung am Übergang vom Gewinde zum Grundkörper für einen faserverstärkten Kunststoff viel zu klein gewählt wurde und damit die Kerbwirkung an dieser Stelle viel zu groß wird.*

Wir überlegen hin und her und bitten letztlich den netten Campingplatzbetreiber, für uns in einem Geschäft anzurufen, ob dies das entsprechende Ersatzteil vorrätig hat. Leider ist das ist nicht der Fall und der gute Mann gibt nun nicht eher Ruhe, ehe er nicht sämtliche Outdoorgeschäfte in der Region abgeklappert hat. Letzten Endes bestellen wir einen komplett neuen Pumpenkopf im Internet und finden einen Laden in dem auf unserer Route liegenden Kayseri, der das Paket freundlicherweise für uns entgegen nimmt.
Das Ganze dauert geschlagene drei Stunden und trotz unseren Beteuerungen, nicht zur Last fallen zu wollen, schlägt sich der unser Helfer wacker und ist als Dolmetscher für uns Gold wert!
Am Ende wird es ein sehr herzlicher Abschied und wir sind gespannt, ob unsere Bestellung in Kayseri auch wirklich ankommt...

*Maries Version: Das Teil ist auseinander gebrochen.


Burgen aus Stein und `Wolle´
Durch die Verzögerung am Vormittag brechen wir erst gegen Mittag zu unserem eigentlichen Ziel in Pamukkale auf: Die weißen Sinterterrassen, nach denen die Stadt benannt ist (Pamukkale bedeutet übersetzt soviel wie Baumwollburg), machen ihrem Namen alle Ehre. Wie Zuckerguss scheinen die weißen Kalkablagerungen die Hänge herabzufließen. Der Anblick ist schon beeindruckend, doch die Frage ist, ob wir wirklich Eintritt zahlen sollen für eine Attraktion, bei der sich eine Touristenkette im Gänsemarsch Meter für Meter vorwärts schiebt, nur um einmal barfuß durch die teilweise begehbaren Becken zu waten.
Wir stehen eine Weile diskutierend vor dem belebten Eingang, auch weil uns die unzähligen Reisebusse abschrecken, die in Reih und Glied auf dem riesigen Parkplatz stehen. Schließlich geben wir uns einen Ruck und stürzen uns doch ins Gewühl, zumal der Eintritt sowohl für die Sinterterrassen als auch für die antike Stadt Hierapolis gilt.

Schnell merken wir, dass sich der Eintritt mehr als gelohnt hat! Vor allem die Ruinen der antiken Stadt begeistern uns sehr. Wir folgen einem der ausgewiesenen Pfade zum aufwändig restaurierten Amphitheater und sind beeindruckt von dem Bauwerk samt der dahinter liegenden Aussicht. Wir sind nun neugierig was hier noch alles auf uns wartet und gehen den Weg weiter den Hügel hinauf. Wie erstaunt sind wir aber, dass wir nun, gerade einmal 50 Meter vom Hauptweg entfernt, fast ganz allein sind! Die Fundamente der für uns noch viel interessanteren Bauwerke haben wir bis auf zwei weitere Personen tatsächlich ganz für uns. Auch der Friedhof mit den vielen kleinen und großen Grabsteinen und Mausoleen sowie die Überreste des Stadttors oder des Badehauses faszinieren uns. Als Sahnehäubchen entdecken wir zwischen all den Steinen zwei große Echsen und eine Schildkröte und lauschen dem unheimlich lauten Gesang der Zikaden.


Am Ende unseres Rundgangs sind wir allerdings ganz schön erschlagen von den vielen Eindrücken und den weiten Wegen in der Mittagshitze. Zeit für eine Abkühlung in den Sinterterrassen, die man innerhalb eines eingezäunten Bereichs betreten darf. Entlang der Terrassen führt ein Holzsteg und wir sind abermals erstaunt, fast die Einzigen zu sein. Doch kurz vor der letzten Biegung lässt lautes Stimmengewirr à la Badesee darauf schließen, dass wir an der Hauptattraktion angekommen sind. Über dem ganzen Spektakel schwebende Paraglider vervollständigen das bunte Postkartenmotiv - wie uns Tim geschrieben hat, sind auch er und Freddie gestern hier geflogen.
So wenig der Trubel an sich dazu einlädt, sich unter die `Badegäste´ zu mischen, so neugierig sind wir doch, auszuprobieren wie sich der feuchte Kalk unter den Füßen anfühlt. Dieser fühlt sich erstaunlich fest an und erinnert ein wenig an Sandstein. Dort wo Ablagerungen von Mineralien und Algen die Ränder der Becken bunt einfärben, ist es jedoch recht glitschig und wir müssen aufpassen dass wir nicht ausrutschen. Das eigentlich Faszinierende für uns sind neben der Größe der gletscherartigen Hänge vor allem die feinen Muster, die das Wasser über Jahrtausende hinweg in den Stein gegraben hat. Mal erinnern sie uns an das Muster der `Gerippten´ hessischen Äppelwoigläser, mal an die rötliche schuppige Haut eines riesigen Drachens. Wir sind froh, dieses Naturphänomen einmal hautnah zu erleben und sind vor allem sehr froh darüber, zufällig den oberen Eingang erwischt zu haben, der zunächst durch Hierapolis, und nicht wie der andere Eingang direkt auf die Terrassen geführt hat. Sonst hätten wir die antike und unwahrscheinlich schön gelegene Stadtruine vielleicht nicht in diesem Ausmaß gesehen, und dabei hat sie uns am Ende mindestens genauso sehr beeindruckt wie ihre überlaufene und dennoch wunderschöne Schwesterattraktion der weißen `Baumwollburg´.


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