Türkei I - Istanbul

Typischer Marktstand in Istanbul

(zu) lebendiges Wasser

An unserem letzten Tag in Bulgarien starten wir früh Richtung Grenze und tun dies auf holprigen Schleichwegen zu einem Grenzübergang, der aufgrund geringer Wartezeiten empfohlen wird. Tatsächlich müssen wir an der bulgarisch türkischen Grenze zwar an drei verschiedenen Schaltern vorstellig werden, doch an sich geht das ganze Procedere zügig vonstatten. Sogar Johannes Whisky schafft es gut versteckt in unserer Lebensmittelskiste in die Türkei.

Kaum auf der türkischen Seite angekommen, sind die Straßen hervorragend asphaltiert und da es zum einen Spaß macht hier zu fahren und wir zum anderen `heiß´ auf Istanbul sind, fahren wir direkt durch. Wir halten lediglich an einem als Trinkwasser ausgezeichneten Brunnen und lachen über die kleinen `Urzeitkrebschen´, die sich im Wasser in den kleinen Becken unterhalb der Hähne tummeln. Wir gehen davon aus, dass sie sich hier angesiedelt haben weil die die Becken keinen Ablauf haben und das Wasser dementsprechend abgestanden und von Laub und Dreck verschmutzt ist. Doch als Johannes entdeckt, dass einer der Krebse durch den Hahn in einen unserer Kanister geflutscht ist, vergeht uns das Lachen und wir sind unentschlossen. An sich ist das Wasser klar, aber wer weiß... Also werden die `infizierten´ Kanister gechlort und der Wasserkanister aus Norwegen (Kurz: der Norweger), in dem das Krebschen munter seine Bahnen zieht, kurzerhand zum Wasch- und Spülwasser degradiert. Der `Pole´ ist nicht kontaminiert und darf so bleiben wie er ist.

Wasserquelle an der türkischen Grenze / Geburtsort unseres Anhalters für eine Woche

Lebendiges Istanbul

Auf teilweise achtspurigen Straßen Richtung Stadtmitte fühlen wir uns wie Ameisen, die zu Tausenden emsig ihrem Bau zustreben. Dennoch hatte sich Marie den Verkehr schlimmer vorgestellt – Johannes macht die Beifahrerrolle eher zu schaffen...
Istanbul fasziniert schon jetzt; bebaut bis auf den letzten Fleck fahren wir an dicht gedrängten Wohnsiedlungen, Hochhäusern und anderen riesigen Gebäuden vorbei. Den Parkplatz, der uns empfohlen wurde, finden wir zum Glück ohne (größere) Probleme. Für so eine große Stadt ist er ein wahrer Glücksfall! Angeschlossen an einen Sportplatz, mit dem wir auch die sanitären Anlagen teilen, liegt er etwas versteckt nur etwa zwei Kilometer vom Zentrum entfernt.

Wir freuen uns, als uns direkt bei Ankunft ein junger Kerl lebhaft winkt. Tim war für ein Semester in Griechenland und fährt nun Richtung Heimat. Mit einem Paar aus Bad Dürkheim stehen sogar Pfälzer Nachbarn hier und ansonsten einige Wohnmobile aus Italien. Wir erwischen den besten Platz in der hintersten Ecke, wo der Campingplatzbetreiber Tomaten, Auberginen und anderes Gemüse zieht. Prima auch um unser Tarp am Zaun anzubringen.

Was nun folgt ist wahrhaft paradiesisch: Die erste Dusche seit vier Wochen!

Wir können uns kaum losreißen, doch dann stürzen wir uns kopfüber in das Istanbuler Leben. Marie ist mit etwas gemischten Gefühlen angereist, da von jeder Seite gewarnt wurde, dass Istanbul sehr anstrengend sei, zumal bei der Hitze. Doch als wir durch die Straßen `unseres´ Viertels ziehen, ist Johannes zwar noch etwas platt von der Anfahrt, aber Marie fühlt sich munter wie ein Fisch im Wasser: Als Briefträgerin in den H- und K-Quadraten fühlt sich das fast wie Heimspiel und seltsam vertraut an, türkische Geschäfte wieder zu erkennen, die auch in Mannheim zu finden sind.

In diese Gegend Istanbuls verirren sich offenbar nur ab und an mal ein paar Touristen und wir bekommen das ungefilterte türkische Treiben auf den Straßen mit.
Auch wenn wir wie gesagt vieles schon von den türkischen Vierteln in Deutschland kennen, ist gleichzeitig doch so vieles plötzlich so anders als noch in Rumänien oder Bulgarien. Die Müllträger, die mit einer Art Sackkarre riesige Mengen an Müll von den Geschäften an Sammelstellen transportieren, die motorisierten Dreiräder, die durch die Gegend knattern oder der `Klapperteemann´, der sich seinen Samowar auf den Rücken geschnallt hat und Tellern aufeinander schlagend im wahrsten Sinn des Wortes die Straßen `abklappert´. Dazu hupt und ruft es überall und jederzeit und selbstverständlich tragen auch die Aufrufe zum Gebet durch den Muezzin zu der besonderen Atmosphäre bei. Es gibt einfach so viel zu sehen! Jeder der irgendetwas hat oder kann, versucht ein Geschäft daraus zu machen. Zwei Höckerchen vor die Tür gestellt und man kann zumindest Cay anbieten. (Es wäre interessant zu wissen, wie viele Gläser Schwarztee wir in der Türkei und allein in Istanbul zu uns nehmen...) Wir haben etwas Hunger und entscheiden uns für ein kleines Straßencafe, bei dem man auf kleinen roten Bänken zwischen Stromkasten und Auto gemütlich draußen sitzen kann. Der Besitzer ist sichtlich überrascht, zwei Touristen bewirten zu sollen und wir fühlen uns wie Ehrengäste. Einer seiner zwei Jungens nimmt Johannes lässig das Handy ab und tippt unaufgefordert das WIFI-Passwort ein. - Darüber brauchen wir uns in Istanbul kleine Sorgen zu machen. Und auch nicht darüber, dass Johannes Bierliebe in einem islamisch geprägten Land zu kurz kommen könnte; Efe kennen wir schon von zuhause! 

Wir kaufen ein paar Dosen, die wir zurück auf dem Platz mit Tim trinken. Wir sind wirklich froh, ihn getroffen zu haben, denn der notorisch gut gelaunte und reisebegeisterte Kerl ist super sympathisch und so kommen wir am Abend vom Hundertsten ins Tausendste bis es ganz plötzlich halb drei ist... Eine Unterhaltung, die Konsequenzen haben wird, denn spätestens jetzt ist klar, dass wir, oder zumindest Johannes, einen Paragliding Schein machen müssen, nachdem uns Tim von diesem Hobby vorgeschwärmt hat und wir uns ohnehin dafür interessieren!
Übrigens wartet er hier auf seinen Freund Freddie, mit dem er gemeinsam in der Türkei fliegen will. Als dieser tags drauf ankommt, entpuppt auch er sich als absolut angenehmer Zeitgenosse und bei einem gemeinsamen Frühstück unter unserem Tarp wird wieder viel gequatscht.

Den ersten kompletten Tag verbringen wir hauptsächlich am Platz. Wir trödeln bis in die Mittagsstunden hinein und genießen es, unsere Wäsche zum ersten Mal auf dieser Reise in einer richtigen Maschine zu waschen und spülen auch unser komplettes Geschirr unter fließendem Wasser und mit Spülmittel durch. Ein wahres Luxusleben führen wir hier. Dass die Toiletten durch die Mitbenutzung mehrerer Fußballmannschaften ganz schön übel riechen, ist uns da herzlich egal und kann unserer Begeisterung keinen Abbruch tun.
Abends schlendern wir nochmals durch die umliegenden Viertel und gehen auch heute für wenig Geld gut essen, heben uns aber das Touristenprogramm für den kommenden Tag auf.

Und der ist natürlich voller Eindrücke! Zum Glück war Johannes bereits vor vier Jahren mit Freunden hier und kann Marie ohne Reiseführer die schönsten Sehenswürdigkeiten und Plätze zeigen. Da wir recht zentrumsnah untergebracht sind, können wir laufen und genießen schon diesen Spaziergang durch die quirlige Metropole. Zunächst geht es zum Großen Bazar. Sich blind auf Johannes verlassend hat sich Marie gar kein großes Bild hiervon gemacht und ist überrascht, keinen riesigen Markt, sondern eine überdachte, gewölbeartige Markthalle mit unzähligen Gängen und Nischen vorzufinden. Allerdings spüren wir hier auch deutlich, dass wir nun in touristischen Gefilden schippern. Nicht nur werden hier in erster Linie hochpreisige Mitbringsel angeboten, auch der Cay, den wir in einem kleinen Geschäft auf dem Bazar trinken, wird in europäischen Henkeltassen und zum achfachen (!) Preis unserer bisherigen Tees angeboten.

Danach steht Hagia Sofia ganz oben auf der Liste. Dieses ursprünglich als Kirche und später als Moschee genutzte Gebäude beeindruckt uns sehr – sowohl architektonisch als auch durch seine bewegte Geschichte. Die aufwändigen Mosaike, die die ursprüngliche Kirche schmückten, wurden nach Übernahme durch den Islam überputzt und übermalt, sind inzwischen jedoch teilweise wieder freigelegt worden. Auch während unseres Besuchs hört man es hinter dem abgehängten Teil hämmern und wir fragen uns, was unter dem bunt bemalten Putz noch alles für Kunstwerke schlummern. Allerdings sind wir uns einig, dass wir es für den Moment gerade schön finden, dass die Wandgestaltung beider Religionen nebeneinander stehen und sind fasziniert von der Tatsache, dass dieses Bauwerk für Christen und Muslime gleichermaßen einen wichtigen Ort darstellt.

Auf dem Weg von Hagia Sofia zur gegenüberliegenden Blauen Moschee hören wir etwas besonders eindrucksvolles: es ist Gebetszeit und aus der Blauen Moschee dröhnt der typische Gesang des Muezzins. Wohl um sich nicht in die Quere zu kommen, ertönt nun derselbe Ruf vom Minarett der Hagia Sofia etwas zeitversetzt, sodass es zwischen beiden Moscheen stehend so klingt, als würden die beiden Gebäude miteinander Zwiesprache halten.
Besonders schön vernehmen wir die Gebetsrufe übrigens auf unserem Campingplatz. Der ist so weit weg von den umliegenden Moscheen, dass keine die anderen übertönt, sonders der Schall von überall her zu uns dringt und sich hier zu einem eindrucksvollen Stimmengewirr vereint.
Doch zurück zur Blauen Moschee: Da man diese besichtigen kann, reihen auch wir uns in die lange Schlange der Besucher ein, die jedoch zügig voran kommt. Wir sind zugegebenermaßen etwas stolz darauf, gut vorbereitet zu sein, sodass wir nicht mit einem geliehenen himmelblauen Kopftuch oder gelben Rock herumlaufen müssen. Johannes hat sich wohlweislich die Hosenbeine seiner Zipperhose mitgenommen und auch Marie trägt ein knielanges Kleid und hat ein Kopftuch dabei, dass sowohl Haare als auch Schultern verdeckt. Wir werden durchgewunken, allerdings muss Marie an der letzten Instanz doch noch einen gelben Rock überziehen; ihr eigener ist wohl gerade so an der Grenze...
Da die große Kuppel im Innern wegen Bauarbeiten komplett abgehängt ist, ist vor allem Johannes, der die Moschee bereits ohne Gerüst gesehen hat, etwas enttäuscht. Dennoch sind der mit wunderbar bunten Kacheln ausgekleidete Innenraum und die zugehörigen kleineren Kuppeln absolut sehenswert und wir sind beide froh, uns die Moschee von innen angesehen zu haben.
Den Rest des Tages verbringen wir damit, Johannes Lieblingsplätze von Bosporus bis Fischbrötchendjunken zu besuchen und laufen immerhin so viel, dass wir bis abends ohne große Pause zehn Stunden unterwegs sind...

Zurück am Platz beschließen wir, morgen weiter zu fahren. Selbstverständlich hat Istanbul genug Interessantes zu bieten, um noch einige weitere Tage hier zu verweilen, doch wir haben einen facettenreichen Eindruck von der Stadt bekommen und uns bei den vielen Städten, die wir auf unserer Reise sehen werden, vorgenommen, uns dort immer nur so lange aufzuhalten, wie wir noch voller Elan und Freude durch die Straßen laufen.
Für uns geht dieses Konzept bislang auf, denn so haben wir selbst die trubelig laute Weltmetropole Istanbul zu keiner Zeit als anstrengend empfunden, haben viele tolle Eindrücke mitgenommen und uns auch noch etwas für den Rückweg aufgehoben...

Buntes Treiben im großen Basar


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