Rumänien I

Harte Schale, schöner Kern

Direkt hinter der rumänischen Grenze, bei der wir zum ersten Mal unsere Reisepässe vorzeigen müssen, beginnt Oradea. Johannes ist misstrauisch und fragt, ob wir uns diese Stadt wirklich anschauen wollen. Vor Jahren war er dort schon einmal mit einem Freund auf der Durchreise und hat Oradea als eine der hässlichsten Städte überhaupt in Erinnerung. Leider muss Marie ihm Recht geben: Rechts und links von der Straße ragt ein schäbiger Betonblock neben dem anderen in den Himmel. Selbst in zerfallenen, scheinbar unbewohnten Gebäuden, entdecken wir doch Anzeichen dafür, dass hier Menschen leben. Wir arbeiten uns dennoch weiter zur Innenstadt vor und halten zentrumsnah an einem kleinen Park. 


Als wir später in die Stadt laufen, fühlen wir uns wie in einer anderen Welt. Ein großzügig gestalteter Platz vor einer aufwändig renovierten Prachtpassage passt so gar nicht in das bisherige Stadtbild! Über eine kleine Brücke in das Altstadtviertel gelangt, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus: in der Fußgängerzone reihen sich alte Prachtbauten aneinander, ein Gebäude schöner als das andere! An vielen ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen. Der Putz bröckelt hie und da und einige Fassaden sind über und über mit Efeu und anderen Rankpflanzen bewachsen. Doch das verleiht den schönen Gebäuden nur noch mehr Charme. Andere Häuser wiederum sind komplett restauriert und erstrahlen nun in neuem Glanz. Je dunkler es wird, desto beeindruckender wirkt die Altstadt, die abends wunderbar beleuchtet ist.




Es hat sich gelohnt, sich durch den Verkehr und den Dschungel großer Wohnblocks zu kämpfen um sich den alten Stadtkern anzusehen. Gleichzeitig gibt einem dieses Phänomen zu denken. Denn hier ist der Unterschied zwischen arm und reich besonders stark zu spüren. Nur zwei Parallelstraßen von der Hauptstraße entfernt bleiben die alten Häuser wieder sich selbst überlassen und es ist nichts mehr vom Glanz des Alten übrig.

Sturm!

Nach ein paar Städtetagen werden wir zappelig. Die Natur ruft uns! Wir folgen diesem Ruf durch winzige Dörfer, kleine Gassen bis hin zu einem wunderbaren Platz in der Nähe von Suncuius am Fluss Sebes-Körös. Der Platz liegt malerisch in einer Schlucht mit tollem Blick auf die das Tal umgebenden Felsen. Als einzige Camper haben wir die Qual der Wahl zwischen mehreren unter Bäumen versteckten Buchten. Dennoch sind wir nicht ganz allein. Erst werden Kühe auf ihren nahe gelegenen Weideplatz getrieben, gegen Mittag kommen Besucher, die sich für ein paar Stunden zum Grillen oder Entspannen hier aufhalten und dann ist da noch diese Gruppe Sportstudenten, die eine benachbarte Bucht als Startplatz für eine Raftingtour nutzt. Zudem stellen wir fest, dass auf der anderen Flussseite offenbar eine Eisenbahntrasse entlang läuft… 

Dem Platz tut dies alles keinen Abbruch, denn unsere Bucht haben wir ganz für uns. Wir freuen uns vielmehr, dass wir am zweiten Abend auf ein portugiesisches Pärchen treffen, das bereits seit zwei Jahren mit ihrem Ford Transit* unterwegs ist, uns am gemeinsamen Lagerfeuer wertvolle Tipps für unsere Reise gibt und uns überhaupt sehr sympathisch ist. Wir bleiben insgesamt drei volle Tage, bringen unsere Ausrüstung auf Vordermann, entspannen uns und genießen unsere Zeit hier in vollen Zügen.
Dazu haben wir bestes Wetter, doch an unserem letzten Tag hier nimmt die Luftfeuchtigkeit spürbar zu. Den meisten ist das zu warm und wir sind zusammen mit den Portugiesen und einer etwas entfernt zeltenden Jugendgruppe wieder die einzigen Menschen in der Schlucht. Es wird extrem schwül und wir warten sehnlichst auf das von der WetterApp angekündigte Gewitter. Johannes nervt Marie schon den ganzen Tag mit seinen Prophezeiungen eines Unwetters und parkt Henk sogar vorsorglich auf einer höher gelegenen Wiese am Waldrand, um für eine eventuelle Überschwemmung des Platzes gewappnet zu sein. Auch unser Zelt für die Heckklappe haben wir aufgebaut, um bei Regen etwas Bewegungsfreiheit zu haben und uns etwas kochen zu können. Jetzt sitzen wir wie bestellt und nicht abgeholt in der schwülen Hitze auf unseren Hockern und kommen uns langsam doof vor weil sich nichts tut.

Doch dann passiert es. Es beginnt damit, dass Johannes Handy klingelt und vibriert und er eine Notfallwarnung auf rumänisch erhält. Wir haben die Nachricht noch nicht fertig übersetzt als sich der Himmel innerhalb weniger Sekunden verdunkelt als habe jemand das Licht ausgeknipst. Von Ferne hören wir ein unheimliches Pfeifen und als wir ans Ende der Schlucht schauen, sehen wir, wie ein heftiger Windstoß die Bäume niederdrückt und eine Wand aus Staub auf uns zu rast. Die erste Böe reißt unser Vorzelt aus der Verankerung, sodass es nur noch mit einem Gurt am Auto hängt. Schlagartig fällt die Temperatur um circa 15°C. Marie springt ins Auto und nimmt das Zelt entgegen, das Johannes komplett vom Wagen löst um die Klappe zumachen zu können. Noch während wir mit dem Heckzelt kämpfen, kommen Marta und David aus ihrer Bucht auf den höher gelegenen Weg gefahren und schreien uns zu, dass wir uns vor den Bäumen in Acht nehmen müssen. Uns selbst ist längst klar, dass wir für so einen Sturm zu nahe am Waldrand stehen und machen dass wir wegkommen, was gar nicht so einfach ist, da wir unser Bett bereits ausgeklappt haben und Johannes zum Fahren gerade so zwischen Lenkrad und Fahrersitz passt.
Wir halten hinter dem Auto der Portugiesen und sehen auch schon einen Baum in circa 20 Metern Entfernung fallen! Wir kommen mit unseren Verbündeten Marta und David überein, den Sturm erst einmal vor Ort abzuwarten, da wir nicht wissen, wie der Weg durch das kurze Waldstück aussieht, der aus der Schlucht heraus führt.
Der nun einsetzende Regen bereitet uns ebenfalls Kopfzerbrechen, denn der Flusspegel, den wir direkt neben unserem Auto beobachten können, ist seit dem Sturm bereits deutlich gestiegen und anhand des ausgewaschenen Waldrandes sehen wir, bis wohin der Fluss noch steigen kann (Oberkante unserer Fenster…). Doch ausgerechnet dort, wo der Weg aus der Schlucht heraus führt, liegt nun der umgestürzte Baum und versperrt den einzigen Ausgang. Sobald der Wind etwas nachlässt, fahren wir daher zu der Stelle und Johannes schafft in Regenmontur die dicken Äste von der Straße. Jetzt können wir eigentlich nur noch abwarten. Inzwischen ist auch eine Gruppe von fünf bis sechs zutiefst erschrocken dreinblickenden Jugendlichen mit ihren zum Teil zerrissenen Zelten an uns vorbei gehastet. Wir bieten ihnen an, zu uns ins Auto zu kommen, aber sie sagen, dass sie zum fünf Minuten entfernten Campingplatz wollen. Da der Wind wie gesagt nachgelassen hat, lassen wir sie mit mulmigem Gefühl ziehen. Auch unsere portugiesischen Nachbarn fahren nach ein paar Stunden weiter Richtung Oradea, doch da der Wasserpegel stabil ist und es aufhört zu regnen, fahren wir erst morgen weiter und haben den Platz wieder ganz für uns.

Irgendwann ist der ganze Spuk zu Ende und wir machen einen Spaziergang am Fluss entlang um uns die Sturmschäden anzuschauen. Ein bisschen weiter weg, wo die Jugendgruppe ihre Zelte aufgeschlagen hatte, bietet sich ein Bild der Verwüstung. Ein dicker Baum mit einem Durchmesser von ungefähr 40 cm ist umgestürzt und direkt neben dem Lager der Jungen niedergegangen. Wir finden noch ein paar in Panik zurückgelassene Heringe und Werkzeuge der Jugendlichen direkt neben und unter den Ästen, welche wir Ihnen am nächsten Tag zurückgeben wollen. Die Jugendlichen haben richtig Glück gehabt! Wir sehen uns an und uns wird auf einmal bewusst, dass die ganze Situation, die für uns in ihrer Übermacht auch etwas faszinierendes hatte, auch ganz anders hätte ausgehen können!

Gerade noch einmal gut gegangen - aufregend war es allemal…




* Wir verweisen an dieser Stelle auf Herrn Gräfs Theorie bezüglich eines Ford-Synonyms


Letzter Schnitzelstop...

Am nächsten Tag scheint die Sonne als wäre nichts gewesen. Doch als wir unseren inzwischen lieb gewonnenen Platz verlassen und über die Dörfer fahren, künden umgestürzte Bäume und Strommasten noch von den Schrecken des vergangenen Abends. Vielleicht ist es der glückliche Ausgang dieses Abenteuers, gepaart mit unbändiger Lust auf Neues nach drei Tagen am selben Ort, was uns heute überschwänglich und euphorisch in diesen Tag starten lässt. Wir sind wild entschlossen, alles mitzunehmen was geht - und halten innerhalb der ersten paar Kilometer allein dreimal, um in einem kleinen Lädchen Eis und Bier zu kaufen, auf einem Markt unsere Gemüsevorräte aufzufüllen und auf einem Kleiderflohmarkt einfach nur mal zu gucken. Bei letzterem gibt es vor allem T-Shirts mit allerhand kuriosen Aufschriften wie `St. Ignatius Klinik´ oder einfach `Berufsschulwettbewerb Immeldingen 2015´ und Hotelpantoffeln, die offenbar jemand hat mitgehen lassen.

Doch unser eigentliches Ziel für heute heißt Hermannstadt. Auch hier war Johannes schon einmal und freut sich sehr darauf, Marie diese schöne Stadt zu zeigen. Die von deutschen Siedlern erbaute Stadt erinnert in ihrem Aufbau durchaus an mittelalterliche deutsche Orte, sodass uns die Stadt auf eigentümliche Art vertraut ist.
Wir schlendern auch hier erst wieder über einen Markt und dann durch die hübsche Innenstadt. Schon vor Tagen hat Johannes angekündigt, seine Marie hier in ein Restaurant auszuführen und wir freuen uns sehr darauf, richtig gut zu essen und unseren Benzinkocher heute aus zu lassen. Wir machen uns sogar (im Rahmen unserer Möglichkeiten) etwas schick und genießen den Abend, auch wenn das Essen nicht so gut ist wie Johannes es in Erinnerung hatte und Marie etwas irritiert ist von deutscher Blasmusik und einer Bedienung im Dirndl… Das ist normalerweise so gar nicht unser Stil, doch ist es vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte Hermannstadts in diesem Fall durchaus verständlich, dass hier neben der rumänischen Kultur auch deutsche Tradition verankert ist.

Beim abendlichen Bummel durch Hermannstadt sind wir etwas unentschlossen. Es ist noch zu früh, um zu Henk zu gehen, aber bei unserem momentanen Sparkurs wollen wir auch nicht in eine Kneipe einkehren nachdem wir heute schon essen waren. Da kommt uns das kostenlose Open Air Kino auf dem Marktplatz gerade Recht! Es läuft `Yesterday´, eine amüsante amerikanische Komödie, die im Originalton mit rumänischen Untertiteln gezeigt wird, sodass wir alles verstehen was gesagt wird. 




Ein rundum schöner Tag, der perfekt ist, um nochmal Kräfte zu sammeln für die fordernde morgige Fahrt durch das Gebirge...




Wie gewohnt gibt es hier noch weitere Bilder: 
https://photos.app.goo.gl/b6AWTY5FjZMXTvPC7