Tschüß Heimat!

Nachdem sich der Gedanke einer langen Reise erst einmal in unseren Köpfen eingenistet hatte, war irgendwann einfach klar, dass wir aufbrechen müssen weil wir uns sonst über kurz oder lang fragen würden ob wir etwas verpasst haben. Schließlich haben wir beide schon immer davon geträumt, einmal über längere Zeit frei von gesellschaftlichen Zwängen die Welt zu erkunden. Erst kam es uns noch verrückt vor, doch je länger wir darüber nachgedacht, gesprochen und recherchiert haben, desto verrückter kam es uns irgendwann vor, es nicht zu machen...
Als logische Konsequenz unsere Arbeitsstellen zu kündigen, ist uns daher auch leichter gefallen als gedacht. Was uns dagegen mehr zu schaffen macht, ist der Abschied von Familie und Freunden. Wir haben in den letzten Wochen versucht, viele Freunde vor unserer Abfahrt noch einmal zu treffen und uns ist dabei bewusst geworden, was wir für wunderbare Menschen um uns haben, die mit uns fiebern und uns vermissen werden.

Und so stehen wir am Abfahrtstag mit unseren Familien nach einem letzten gemeinsamen Frühstück mit sehr gemischten Gefühlen auf der Straße. Umarmungen, ein paar Tränchen und dann geht es los Richtung Osten!



Ein letztes Wochenende in der BRD - oder vielmehr BRN...
Maries Mama hat uns ihre Kleingeldsammlung aus dem großen Spaghettiglas mitgegeben, das immer zu besonderen Anlässen geleert wird und die zwei prall gefüllten Brotboxen mit Münzgeld, die wir erst am Montag eintauschen können, zwingen uns, das Wochenende noch in Deutschland zu verbringen. Ich gebe zu, dass wir ein bisschen ungeduldig sind, denn auch wenn wir uns vorgenommen haben, nicht von Ort zu Ort zu hasten sondern die Tage und Orte in Ruhe zu genießen, verspüren wir beide den Drang, erst einmal Abstand zu unserer Heimat zu gewinnen, um überhaupt zu realisieren, dass wir jetzt wirklich unterwegs sind. 
Und außerdem: Erst im Ausland, fernab des Vertrauten, beginnt schließlich das Abenteuer! - Denken wir...
Als erste Stationen schauen wir uns die Städte Leipzig und Dresden an, die uns sehr gut gefallen. In Dresden verscheucht uns mittags der Sicherheitsmann vom grünen Rasen im Zwinger, doch nachdem wir ihn mit einem Eis besänftigen, das wir übrig haben (die 6er Packung war zwar günstiger, aber vielleicht doch ein bisschen zu viel...) kommen wir ins Gespräch und er erzählt uns, dass im Stadtteil Dresden Neustadt heute das größte Stadtteilfest Europas stattfindet. 
Kurz nach der Wiedervereinigung zur BRD riefen einige Aktivisten kurzerhand ihren Stadtteil zu einer eigenen Republik, der Bunten Republik Neustadt (BRN )aus. Seitdem herrscht im `Regierungsviertel´ der BRN einmal im Jahr Ausnahmezustand...
Als wir abends an unseren Rastplatz in der Neutstadt kommen, ist dieser bereits überfüllt mit Autos und wir hören schon von weitem laute Musik.

Wir schließen uns dem Strom an und sind einfach nur baff wie viele Menschen sich hier durch die Straßen drängen, tanzen und feiern.
Die Straßen sind geschmückt und an teilweise mit viel Liebe selbstgebauten Ständen gibt es Essen und Trinken. Dazu dröhnt aus allen Zelten und Fenstern laute Musik jeglichen Genres; Balkone sind zu DJ Bühnen umfunktioniert worden, Bands spielen auf mal mehr mal weniger professionellen Bühnen, Leute musizieren und rappen auf der Straße - und manche laufen einfach mit dem guten alten Ghettoblaster durch die Straßen (wobei laufen in der Menschenmenge sehr optimistisch ausgedrückt ist). Wer findet, dass die Alkoholversorgung am Boden zu wünschen übrig lässt, muss nur nach oben sehen: Selbstgemalte Schilder verraten dir, dass du dir dein Bier oder Schnaps gegen kleines Geld an einem Seil herunterlassen kannst - oder dir per Bierbong direkt aus aus dem 2. Stock in den Rachen fließen lassen kannst...
An jeder Ecke gibt es etwas zu sehen und es ist schön, dass das große Polizeiaufgebot trotz der unübersichtlichen Menschenmenge fast ausschließlich an den Zugangspunkten postiert ist und es zwar laut aber auch vorwiegend friedlich vonstatten zu gehen scheint. Auch wenn Kritiker bemängeln, dass der ursprüngliche politische Hintergrund mehr und mehr verloren geht, gefällt uns besonders gut, dass das Fest im Großen und Ganzen von den Bewohnern und ansässigen Kneipen ausgerichtet wird und man keine offiziellen Bühnen oder Werbestände sieht.
Für uns ein total irrer und schöner Abend, der umso überwältigender für uns ist, da er so überraschend kam!
Und wir dachten, das Abenteuer beginnt erst im Ausland...




Wer den Cent nicht ehrt...
Nach der stürmischen Partynacht zieht es uns am darauffolgenden Tag in die Natur. Wir finden einen wunderschönen kleinen See, an dem wir den Tag mit Faulenzen und Optimieren unserer Packordnung verbringen. Abends machen wir ein schönes Feuer, auf dem wir erst kochen und an dem wir später zusammen mit Rob und Danielle, einem niederländisch/neuseeländischem Bilderbuch-Vanlife-Pärchen sitzen, die sich ebenfalls hierher verirrt haben.



Montag ist dann Görlitz unser letzter Zwischenstopp vor der polnischen Grenze um  die besagten drei Kilo Münzen einzuzahlen. Doch am Schalter der Sparkasse die Überraschung: da Marie Kundin der Sparkasse Rhein Neckar Nord, jedoch nicht der Sparkasse Schlesien Oberlausitz ist, kann sie diesen Dienst nicht in Anspruch nehmen. Wir wussten zwar, dass wir in anderen Bundesländern bzw im Ausland Überweisungen nur per Online Banking tätigen können, aber daran, dass wir Münzgeld nicht einzahlen und noch nicht einmal in Scheine wechseln lassen könnten, haben wir in unserer Naivität dann doch nicht gedacht.
Da wir wissen, dass viele Banken inzwischen bundesweiten Service anbieten, versuchen wir es auch ohne entsprechendes Konto noch bei drei weiteren Banken. Ohne Erfolg. Schließlich finden wir eine ältere Dame, die bereit ist, unser Münzgeld über den Einzahlungsautomaten auf ihr Konto einzuzahlen um uns dann den Betrag in Scheinen wieder abzuheben. Wir sind froh eine gute Lösung gefunden zu haben - bis uns der Automat anzeigt, dass das Münzfach voll und eine Einzahlung von Münzen daher momentan nicht möglich ist...
Bei einer Apotheke werden wir immerhin einiges an `großem´ Geld (10er und 20er) los, indem wir am Tresen kleine Münztürmchen im Wert von 26 Euro bauen.
Wir überlegen weiter: `Was ist leichter als zwei Brotboxen Münzen?´ - Briefmarken! Braucht man zuhause eh immer und sind schön klein und leicht.
Eine halbe Stunde füttern wir unter dem Spott der Passanten geduldig zwei Briefmarkenautomaten und fragen uns dann, ob nicht auch die Post über eine Münzzählmaschine verfügt und wir unser Geld hier eintauschen können. Die Antwort am Schalter ist bedingt positiv: Gegen Scheine können wir die Münzen nicht eintauschen, aber immerhin Briefmarken damit kaufen. Nachdem wir sie zu Münzrollen gedreht haben! Hat jemand schon einmal Münzrollen per Hand gedreht? Für einen Nichtraucher gar nicht so einfach! Aber nach ein paar Versuchen haben wir den Dreh raus und läppische 1,5 Stunden später jede Menge sauber gedrehte Rollen (Lob vom Herrn hinter dem Schalter) produziert. Zufrieden mit unserer Ausdauer und unserem Ergebnis stecken wir auch den Postbeamten mit unserer gleichbleibend guten Laune an, sodass dieser uns sogar großzügig alles in bar auszahlt. 
Hart verdientes Geld, über das wir uns umso mehr freuen, als es uns am Ende einen sehr witzigen Nachmittag beschert hat!
Als erstes gehen wir davon übrigens einen leckeren Dönerteller futtern...



Beim Verlassen der Stadt übersehen wir dann beinahe die polnische Grenze, die in diesem Fall einfach nur aus einer kleinen Brücke besteht.
Dennoch ein merkwürdiges Gefühl, Deutschland zu verlassen und für ein knappes Jahr nicht mehr zu betreten.
Mal sehen was wir in Polen erleben...

Weitere Fotos zu unserer ersten Etappe in Deutschland findet ihr hier:
https://photos.app.goo.gl/CMxvi9QGXULSEQQc6