Landleben - Nordmazedonien

Wir machen die Augen auf, ziehen die Decke bis über beide Ohren und drehen uns genüsslich nochmal um. Ein wunderbares Gefühl, nach viereinhalb Monaten mal wieder irgendwo richtig anzukommen.
Mit ihrer Kuscheldecke aus dem Henk haben auch unsere Kleinen gar nicht mit dem neuen Schlafplatz gefremdelt und wir genießen zu fünft unseren ersten Morgen in unserer kleinen Steinvilla.
Welch ein Luxus, beim Kaffee kochen keinen warmen Kapuzenpulli und Fingerhandschuhe zu tragen. Und was für ein Luxus, hinterher unter fließendem Wasser und mit Spülmittel abzuwaschen...



Unsere Heimat für den November

Leben im Steinhaus

Unser Häuschen ist wunderschön gelegen, doch die ersten paar Tage verlassen wir unser neues Zuhause kaum. Dafür sind wir viel zu beschäftigt damit, alle Vorteile, die ein festes Heim mit sich bringt, voll auszukosten. Johannes stürzt sich auf den alten Holzofen, um die Bude warm zu bekommen und Marie belegt den kleinen Herd mit Beschlag. 

Lediglich für die Abgabe einer Anmeldung von uns als Touristen in Pelince fahren wir ins nahe gelegene Kumanovo, wo wir uns mit unserem Gastgeber an einem kleinen Heimatmuseum verabredet haben. Dort angekommen, hat Goce noch etwas zu erledigen, während wir uns das Museum, in dessen Vorstand er ist, kostenlos ansehen dürfen. Da wir vor etwa einer Woche die Prähistorischen Sternwarte in Kokino besucht haben, sind die Exponate, die dort bei Ausgrabungen zu Tage gefördert wurden, für uns natürlich besonders interessant.
Anschließend lädt uns Goce auf einen Kaffee ein und wir freuen uns, etwas mehr über ihn und seine Familie zu erfahren. Dass er Künstler ist, hat er uns schon am Abend unserer Ankunft erzählt, denn auch die Gemälde in den Wohnräumen stammen von ihm und seiner Tochter, die ebenfalls Malerin ist. Dass er aber auch das ganze Haus selbst entworfen und gebaut hat, war uns nicht klar.
Der trotz langen weißen Haaren immer noch jugendlich wirkende Goce scheint nach allem, was er erzählt, ein wahrer Tausendsassa und Lebenskünstler zu sein, ist dabei aber bescheiden und berichtet eher beiläufig von seinen Projekten. In Kumanovo ist er anscheinend bekannt wie ein bunter Hund, denn jeder zweite, der am Cafe vorbei kommt, bleibt kurz stehen oder grüßt zumindest von weitem. Auch sein Sohn Victor kommt kurz vorbei und nimmt sich die Zeit, sich zu uns zu setzen, obwohl er als Angestellter im Kulturamt mit dem anstehenden 500. Stadtjubiläum viel um die Ohren hat.

Die beiden weisen uns nochmal auf die Gefahr eingefrorener Leitungen bei Minusgraden hin, haben aber nichts dagegen, dass wir länger in dem Haus bleiben als die gebuchte Woche, sofern das für uns kein Problem darstellt. Und das tut es natürlich nicht. Wir füllen einfach unsere Wasservorräte auf als wären wir noch mit Henk unterwegs, um es dann bei Bedarf bequem mit Ofen und Wasserkocher zu erwärmen. Momentan ist es ohnehin noch angenehm mild und es sieht nicht nach einem plötzlichen Kälteeinbruch aus.
Später schreiben wir Goces Tochter Kristina an, über die die Vermietung per Airbnb läuft und auch sie gibt grünes Licht. In Absprache mit der Familie müssen wir sogar nur einen Teil des eigentlichen Preises zahlen und sind darüber sehr glücklich, denn für den November hatten wir eine so große Ausgabe eigentlich nicht vorgesehen.

Die ganze Familie begegnet uns so freundlich und herzlich, dass wir uns gerade nach unserer jüngsten Erfahrung im Kosovo unheimlich willkommen fühlen. Für Sonntag morgen haben wir Goce und seine Frau Vladanka zum Frühstück eingeladen und wir freuen uns so, endlich mal wieder Gäste zu haben, dass wir mit Eiern, gefüllten Pilzen und Kuchen viel zu viel vorbereiten, zumal wir im Gegenzug von Vladanka traditionelles Gebäck mitgebracht bekommen. Es wird ein nettes Treffen und es ist schön, durch die beiden auch etwas über die Gegend zu erfahren. Zum Beispiel haben wir Fragen zu einem Gebäude, auf das wir bei einem kleinen Spaziergang gestoßen sind. Inmitten anderer leer stehender Häuser scheint es ebenfalls recht zerfallen, doch auf den Fensterbrettern sehen wir Grünpflanzen und an den Wänden zahlreiche Kinderzeichnungen. Wie uns die beiden nun erzählen, handelt es sich tatsächlich um eine Schule, die aber nur von drei Schulkindern besucht wird – die wiederum von vier Lehrkräften unterrichtet werden!

Auch auf eine Baustelle in unmittelbarer Nachbarschaft unseres Häuschens sprechen wir sie an. Wie wir erfahren, ist Goce gerade dabei, hier ein weiteres Häuschen – in diesem Fall für seine Enkeltochter – zu errichten und bei einem gemeinsamen Rundgang können wir an den bereits stehenden Grundmauern sehen, wie Goce vor geht. Als Künstler hat er auch von Details schon im Vorfeld eine klare Vorstellung, doch die konkrete Umsetzung scheint er entspannt an zu gehen. Einfach einen Stein auf den anderen setzen und wenn die Steine aus gehen, abwarten bis man an neue kommt.
Im Übrigen sind nicht nur wir von der Baustelle begeistert, auch unsere Hunde erkunden neugierig den neuen Spielplatz und interessieren sich vor allem für ein großes Rohr, das hier schon bereit liegt. Furchtlos wagen sie sich ins Dunkle und schon bald klingt aufgeregtes Getrappel aus dem `Hundetunnel´.


 


Lustwandeln durch unsere Ländereien

So schön der Sonntag mit dem netten Besuch unserer Gastgeber startet, so übel endet er leider. Denn im Laufe des Tages bricht bei Marie eine Magen-Darm-Grippe aus, die mit starkem Fieber einher geht. Kaum überstanden folgen ein paar Tage heftiger Migräne und wir sind froh, jetzt ein festes Zuhause zu haben, wo sie sich auch mal allein in ein Zimmer zurück ziehen kann.

So geht die erste Woche ins Land, ohne dass wir unseren Hort der Gemütlichkeit groß verlassen, doch kaum geht es Marie besser, sind wir nicht mehr zu halten und erkunden neugierig, wo wir hier überhaupt gelandet sind. Ein besonders schöner Spaziergang führt uns auf einem schmalen Weg den kleinen Fluss entlang und während wir den Weg durch das herbstliche Blätterdach genießen, macht es unseren Hunden sichtlich Spaß, sich ihren Weg über Steine und Wurzeln zu suchen.

Ein anderes Mal gerät der Spaziergang dagegen ein wenig außer Kontrolle.
Da die Welpen ohnehin den ganzen Tag herum tollen, wollen wir ihnen nicht zusätzlich noch eine lange Wanderung zumuten und nehmen daher eine `Abkürzung´ zu unserem Haus. – Mit dem Erfolg, dass wir zwei Stunden später noch immer nicht den Ausweg aus dem Unterholz gefunden haben! Während wir Menschen jedoch schwer zu kämpfen haben mit Dornengestrüpp und steilen Abhängen, springen unsere drei sorglos neben uns her und finden den Weg oft früher wieder als wir. Am Ende kommen wir zerzaust und abgekämpft an unserem Flüsschen wieder raus und haben erst einmal genug gesehen. 

Ansonsten können wir ausgiebig testen, wie sich Landleben an fühlt. Johannes hat bald regelrecht Muskelkater vom Holz hacken und Marie bedient sich am hauseigenen Gemüsegarten, wo wir jede Menge Karotten, Sellerie, Tomaten, Kürbisse , Peperoni und anderes Gemüse ernten dürfen. 

Spaziergang durch den Herbstwald

Logistik


Nebenbei haben wir Zeit, uns Gedanken darüber zu machen, wie es nun mit unserer Reise weiter geht. Denn lange können unsere drei nicht mehr unter uns im Henk schlafen und wir schauen uns in der Gegend nach einem gebrauchten Anhänger um, den wir zur `Hundevilla´ umbauen können. Wir sind zuversichtlich, etwas geeignetes zu finden und machen uns auch keine allzu großen Gedanken wegen notwendiger Papiere, da die wenigsten Anhänger hier mit funktionierenden Rücklichtern oder gar einem eigenen Nummernschild unterwegs sind. Doch bei einem Gebrauchtwagenhändler bringen wir in Erfahrung, dass das Ganze wohl doch komplizierter ist als erwartet. Auch in Nordmazedonien muss ein Anhänger zugelassen und versichert werden, wozu wir unter anderem eine aktuelle Adresse angeben müssen. Und dass es bei jeder Ländergrenze zu Diskussionen kommen wird, weshalb wir einen Anhänger mit nordmazedonischem Kennzeichen mit uns führen, können wir uns denken.

Eine halbe Stunde Ernüchterung ist angesagt, bevor wir uns mit der neuen Sachlage abgefunden haben und bereits neue Pläne schmieden. Anhänger...pffft... wer braucht denn sowas?! Wir nutzen Henk ja nicht zum wohnen, sondern lediglich zum fahren und darin schlafen. Das sollten wir doch auch so hinbekommen. Unser Schlachtplan sieht nun wie folgt aus:

Schritt 1:
Zunächst einmal ist kräftiges Ausmisten angesagt.
Auch wenn wir der Meinung sind, mit wenig unnötigem Zeug los gefahren zu sein, gibt es doch einiges, worauf wir unseren Hunden zuliebe verzichten können. 
Den Inhalt unserer Geschirr- und Ausrüstungskisten können wir zum Beispiel drastisch reduzieren und auch an Kleidung haben wir in den vergangenen Monaten viel weniger gebraucht als anfangs gedacht. Aber natürlich können und wollen wir nicht alles verschenken oder weg werfen und so landet eine Kiste mit überflüssigen Dingen kurzerhand auf dem Dach.

Wertvollere Dinge, die wir dort nicht dauerhaft lagern wollen, verstauen wir in Johannes großem Wanderrucksack, der weiterhin in Henk Platz finden sollte. Abgesehen davon ist unser Ziel, am Ende nicht viel mehr dabei zu haben als Wanderer auf einer längeren Tour. Denn dann passt alles Gepäck an die Stelle, wo früher die Rückbank ihren Platz hatte. 

Schritt 2:
Der gesamte Kofferraum sollte nun frei sein für unsere Vierbeiner, die sich hier während der Fahrt aufhalten werden. Damit sie dabei auch sicher sind und nicht bei Tempo 100km/h über unser Gepäck kraxeln, benötigen wir eine Hundebox, die optimal an die Maße des Kofferraums angepasst ist, sodass unsere Hunde möglichst viel Platz haben. Unser Bett füllt Henk in ausgeklapptem Zustand komplett aus, weshalb die Box eine Doppelfunktion als Transportbox auf der einen und Hunde-Schlaf-Hütte auf der anderen Seite erfüllen muss.
Dementsprechend muss sie gut isoliert sein, dabei viel Licht einfallen lassen, soll leicht, regendicht und gegen Zugluft geschützt sein. Im zweiten Schritt geht Johannes, der alte Ingenieur, nun mit Listen und Konstruktionszeichnungen an Planung und Design, um möglichst alle Kriterien zu erfüllen.

Schritt 3:
Der Bau unserer Universal Hundebox wird wohl die größte Herausforderung werden. Obwohl wir beide nicht zum ersten Mal solche Projekte in die Tat umsetzen und handwerklich nicht unbedingt vier linke Hände haben, müssen wir davon ausgehen, nicht überall so gut sortierte Baumärkte wie Hornbach oder Obi zu finden. Ohne entsprechende Sprachkenntnisse könnte es daher etwas schwierig werden, an die gewünschten Materialien zu kommen. Auch in puncto Werkzeug können wir natürlich nicht auf unseren Hobbykeller daheim zurück greifen. Doch auf unserer Reise wurden wir immer wieder von der Hilfsbereitschaft der Menschen überrascht und sind zuversichtlich, uns das ein oder andere Gerät in der Nachbarschaft leihen zu können.


Bei der Planung


Faulenzertum

Da wir zunächst davon ausgegangen waren, Anfang des Jahres Besuch von Maries Bruder zu empfangen, dem wir einiges an Gepäck mit geben wollten, haben wir den Bau der Box auf unseren Aufenthalt in Albanien verschoben.

Zwar brennen wir darauf, endlich los zu legen, aber letzten Endes ist es vielleicht gar nicht so schlecht, dass uns vorerst die Hände gebunden sind. Denn stattdessen beginnen wir damit, ausgiebig zu faulenzen und das tut uns so richtig gut. So schauen wir bis spät abends Filme und stehen morgens dementsprechend spät auf. Unser ebenso gemütliches wie ausgiebiges Frühstück zieht sich bis in den späten Vormittag hinein und bis die Hunde gefrühstückt und gespielt haben, können wir eigentlich auch schon wieder was zu essen vertragen. Noch ein kurzer Spaziergang, damit man sich wenigstens etwas bewegt hat und dann gehts auch schon ans Holz machen und Essen kochen, bevor es um 16:00 Uhr bereits wieder dunkel wird... 

Wir genießen unser faules Leben in Pelince in vollen Zügen und merken erst jetzt, dass eine Pause nach all den vielen Eindrücken nötig war.
Gleichzeitig wissen wir schon jetzt, dass wir es bis spätestens Mitte Januar kaum abwarten können werden, weiter zu ziehen, denn auf Dauer würde uns das Lotterleben doch zu eintönig werden...


Gemütlicher Abend auf der Couch

Herzlicher Abschied


Bis dahin nutzen wir neben anderen Annehmlichkeiten des `zivilisierten Lebens´ vor allem eines: unbegrenzten WLAN Zugang. Endlich können wir mal ausgiebig mit Freunden und Familien schreiben oder sogar telefonieren!
Auch Reisebekanntschaften schreiben wir die ein oder andere Mail, denn die Liste mit Menschen, mit denen wir intensiver ins Gespräch gekommen sind, die uns geholfen oder gar eingeladen haben, ist inzwischen ganz schön lang geworden.

Einmal treten wir dabei wohl in ein Fettnäpfchen: Wir wollen die Gelegenheit nutzen, uns bei unserem freundlichen Gastgeber in Ohrid zu melden, den wir im letzten Beitrag erwähnt haben. Wir schreiben ihm, was wir seit unserem Treffen erlebt haben und wie wohl wir uns in Nordmazedonien fühlen.
Doch als Antwort erhalten wir eine erzürnte Mail. Er lebe in Mazedonien, nicht in irgend einem erdachten Land Nordmazedonien... Auf unsere Versicherung hin, es nicht böse gemeint zu haben, folgt lediglich eine weitere Mail, in der er darauf hin weist, dass seiner Meinung nach der Wille des Volkes bei der Umbenennung rücksichtslos missachtet worden sei.

Wir wissen um den dreißig Jahre währenden unschönen Namenskonflikt zwischen Griechenland und Nordmazedonien und können den Ärger der Bevölkerung darüber gut verstehen. Andererseits macht es uns betroffen, dass die bloße Nennung des seit Januar offiziell neuen Namens den eigentlichen Inhalt unserer Nachricht offenbar komplett verdrängt hat. So etwas zu verstehen, fällt uns immer schwerer, je länger wir reisen. Nach 18 Grenzübertritten in 14 verschiedene Länder sehen wir uns nicht länger nur als Deutsche oder Europäer, sondern vor allem als Weltenbürger. Denn letzten Endes sind doch alle Flaggen, Grenzen und Namen nichts anderes als `irgend eine erdachte´ Einschränkung von Menschen.
Gleichzeitig ist uns natürlich bewusst, dass wir als Außenstehende leicht reden haben. Ist es nicht logisch, dass ein so junger Staat wie Nordmazedonien im Ringen um seine Identität besonderen Wert auf seinen Namen legen muss?

Wir versuchen, nicht zu urteilen – müssen aber zugeben, dass wir uns sehr freuen, dass Goce ganz unserer Meinung ist, als wir ihn dazu befragen. Es sei ja schließlich nur ein Name: `Ich heiße Goce´, erklärt er achselzuckend. `Aber wenn mich jemand Victor oder Goran nennen will... soll er doch.´

Er und seine Frau besuchen uns einige Tage vor unserer Abfahrt, nachdem wir sie zum Essen eingeladen haben. In der Realität verhält es sich allerdings genau umgekehrt, denn als uns Goce anruft, um mit uns Tag und Uhrzeit zu klären, verbietet er uns in energischem Ton, etwas zu kochen, da sie selbst traditionell mazedonisches Essen mitbringen werden: `You don´t cook!!´
Wir genießen es auch dieses Mal, die beiden angenehmen Leute zu Gast zu haben und das Essen ist wirklich sehr lecker. Bohneneintopf, eingelegte Paprika, 
eine Art Ayvar und sehr schmackhafte Wurst aus Kumanovo, welche es nur dort gibt, werden serviert. Dazu gibt es leckeres Brot und zum Abschluss Muffins. Nachdem wir uns unlängst nach ihrem Rezept für Quittenkonfekt erkundigt haben, bekommen wir sogar noch Quittenmarmelade mitgebracht! 
Es ist wohl das (vorerst) letzte Mal, dass wir Vladanka und Goce sehen werden und so fällt der Abschied besonders herzlich aus.


Herzlicher Abschied von unseren lieben Gastgebern

Ganz allmählich beginnen wir zu packen und freuen uns auf Albanien – und zum ersten Mal gelingt es uns, einen Blogartikel in Übereinstimmung mit der realen Zeit hochzuladen. Denn während wir dies online stellen, steht Henk bereits fertig gepackt bereit und wir müssen eigentlich nur noch einsteigen und nach Albanien fahren.


Hier geht es zum Fotoalbum:
https://photos.app.goo.gl/xeZmFidijnpQPr2t8