Armeniens Norden

Die Wache zu dem verlassenen Rummelplatz

Luxusurlaub 

Das Tor zum Campingplatz öffnet sich und wir betreten eine Oase!
Gute zehn Minuten braucht Sandra, die niederländische Betreiberin, um uns alles zu zeigen. Eine Terrasse mit Hollywoodschaukel und Spüle, eine nagelneue große Küche und einen Pool mit Liegestühlen unter einem Sonnensegel. Eine Treppe hinunter gibt es das Ganze noch einmal. Auch hier hat es eine geräumige Wohnküche mit kleinem Holzofen und eine Terrasse mit Sitzgelegenheiten und toller Aussicht auf die umliegenden Berge. Dazu noch eine Waschmaschine und die einmalig luxuriösen sanitären Anlagen – wir sind begeistert! Allerdings müssen wir zugeben, dass wir nach so langer Zeit in der Natur erst eine Weile brauchen, bis wir uns inmitten dieser Pracht nicht wie schmutzige Fremdkörper vorkommen...

Momentan ist das Camp fest in deutschsprachiger Hand: ein Schweizer Pärchen ist schon eine ganze Weile da, um als Grafikdesigner von hier aus einen Auftrag zu bearbeiten, bevor es weiter nach Indien zieht, Ralf und Robert sind mit den Motorrädern in ihrem Jahresurlaub unterwegs und Denise und Roger aus der Schweiz haben wir ganz besonders ins Herz geschlossen – und das nicht nur weil sie die ersten sind die wir treffen, die wie wir mit einem VW Caddy unterwegs sind! Am nächsten Tag stoßen noch Heidi und Lutz dazu, die mit ihrem Toyota Landcruiser ebenso kautzig wie herzlich unterwegs sind. 

Heimspiel.Was wir sonst eher vermeiden, tut uns gerade jetzt richtig gut und da wir unsere Abfahrt jeden Tag aufs Neue um eine weitere Nacht verschieben, sind wir nach vier Tagen eine richtig kleine Campinggemeinde. Wenn einer von uns beiden `nur mal kurz´etwas holen will, wissen wir schon, dass der Weg über den Platz gut und gerne eine volle Stunde dauern kann, weil man mit dem ein oder anderen ins Gespräch kommt.

Neben Sandras Liebe zum Detail und unseren netten Bekanntschaften liegt das `3G´auch unheimlich günstig um kleine Tagesausflüge zu machen. Besonders gut gefällt uns ein Spaziergang zu `Symphony of Stones´, einem Naturphänomen, bei dem sich durch schnelle Abkühlung des Gesteins große senkrechte Steinsäulen mit hexagonalem Grundriss gebildet haben. Man kann sich das Ganze ungefähr so vorstellen, als presst man eine Handvoll sechskantiger Buntstifte zusammen und schneidet sie unten unterschiedlich lang ab. (Wer sich die Sache trotz dieser top Beschreibung nicht recht vorstellen kann, darf sich gerne die Bilder dazu ansehen, die wir wieder am Ende des Beitrags im Link zusammengestellt haben.)
Hier treffen wir auch auf Chris aus Australien, der einige Tipps für den Süden Armeniens parat hat, der uns aber auch noch eine Warnung mit auf den Weg gibt: Auf dem etwa hundert Meter entfernten Plateau, auf dem die Ruinen einer laut Chris über 10 000 Jahre alten Siedlung zu sehen sind, hat er eine große giftige Schlange gesichtet und daraufhin das Weite gesucht. Wir lassen selbiges daher aus und erklimmen lediglich den Tempel auf einem nahe gelegenen Berg – wenn schon ein Australier uns warnt, sollten wir das ernst nehmen!
Zurück zum Campingplatz geht es das ersten Mal per Anhalter. Zu unserer Freude hält schon bald ein alter Mercedes, um uns mitzunehmen. Wir hatten ja insgeheim auf einen typischen alten Lada gehofft, doch letztlich sind wir uns einig, dass wir keinen besseren Chauffeur hätten finden können. Nicht nur, dass der Fahrer unvermittelt vor einem Laden anhält um uns Eis zu spendieren; als er uns absetzt und dann umdreht, realisieren wir erst, dass er uns auch weiter gefahren hat als er selbst eigentlich hätte fahren müssen!

An unserem (wirklich) letzten Abend im 3G grillen wir in kleiner Runde und sind uns sicher, dass wir uns nicht zum letzten Mal auf dieser Reise sehen.
Dies bewahrheitet sich übrigens schon eine halbe Stunde nachdem wir den Platz verlassen. Denn als wir das nicht allzu weit entfernte und berühmte Kloster Geghart besichtigen, treffen wir Denise und Roger bereits wieder!


Nord-West-Schleife 

Da wir nach unserem unschönen Erlebnis in den Bergen direkt zum 3G gefahren sind,haben wir das Gefühl, den Norden Armeniens noch nicht genügend erkundet zu haben, weshalb wir eine `Nord-West-Schleife´mit der Hauptstadt Yerewan als Endpunkt starten.
Die weite Landschaft bestaunen wir hauptsächlich vom Auto aus, legen aber immer mal wieder kleine Zwischenstopps ein, um die Eindrücke auf uns wirken zu lassen.

Wie schon bei unserer Fahrt um den Sewansee sind wir auch jetzt wieder zwiegespalten: Wir sind begeistert von der kargen Landschaft und beeindruckt von den Menschen, die mit ihren Kühen durch die trockene Gegend ziehen, um doch irgendwo noch ein Fleckchen Grün für die Herde zu finden. Gleichzeitig machen uns auch hier wieder die vielen verfallenen oder gar nicht erst fertig gestellten Häuser betroffen. Konflikte mit den Nachbarländern Türkei und Aserbaidschan, das große Erdbeben von 1988 und natürlich der Zusammenbruch der Sowjetunion haben Armenien stark zugesetzt.
Trotz teilweise offensichtlicher Armut ist aber auch großer Einfallsreichtum zu entdecken. So finden wir einen Zaun, der komplett aus den metallenen Deckeln und Böden großer Fässer besteht und sehen immer wieder Autotüren, die mal als Gartentür verwendet werden, mal einfach in der Scheunenwand verbaut sind. Was keine Verwendung mehr findet, steht indes als Wrack in der Landschaft und Fabriken oder ähnliches werden nicht rückgebaut, sondern bleiben ebenfalls als Ruinen erhalten.

Gleiches gilt für einen alten Jahrmarkt, den wir bei Dilidjan Dank eines Hinweises von Denise und Roger entdecken und der eine ganz besondere Atmosphäre ausstrahlt. Die alten Fahrgeschäfte sind sicher schon mehrere Jahrzehnte außer Betrieb und inzwischen teilweise mit Pflanzen überwachsen.
Der Ort fasziniert uns übrigens derart, dass wir in jeder größeren Stadt nach vergleichbaren Anlagen Ausschau halten und tatsächlich entwickeln wir langsam einen Blick dafür, wo sich ein altes Karussell versteckt haben könnte. Noch drei weitere verlassene Rummelplätze finden wir, wovon uns einer besonder gut gefällt: Ein Karussell befindet sich innerhalb einer kleinen Eisenbahnstrecke für Kinder und das ganze Areal ist von einem Zaun umgeben. Wir sind gerade wild am Fotografieren, als wir einen alten Mann sehen, der diesen aufschließt um darin Gartenarbeit zu verrichten. Zwischen Karussell und Eisenbahn wachsen Kürbisse, Bohnen und anderes Gemüse!

Ansonsten ist uns von unserer Rundtour Richtung Yerewan vor allem eine Nacht schaurig schön in Erinnerung. Wir sind etwas abseits der Wege in steppenartiges Gebiet gefahren und genießen den freien Blick ins Tal. Es ist recht warm, doch gegen Abend kühlt es stark ab und dunkle Wolken ziehen auf. Schlagartig in helles Licht getaucht, können wir beobachten, wie in weiter Ferne Blitze in den Ararat einschlagen. Ein tolles Schauspiel und doch sind wir froh, jetzt nicht mitten im Gewitter zu stecken, das ganz schön heftig wütet.
Doch da haben wir uns wohl etwas zu früh gefreut. Das Unwetter kommt immer näher und irgendwann ist es direkt über uns. Regen prasselt so heftig auf unser Dach, dass wir fast schreien müssen um uns zu verständigen und in der Nähe hören wir durch den Regen und den heulenden Wind immer wieder einen unheimlichen lauten tiefen Ton, den wir erst nicht zuordnen können. Dann wird uns klar, dass es die Hochspannungsleitungen des Strommasten sein müssen, die das Geräusch verursachen. Wir sind beruhigt, eine Ursache für das geisterhafte Brummen gefunden zu haben und kuscheln uns fest in unsere Decken. Froh, mit Henk in einem Faradayschen Käfig zu sitzen, können wir das Gewitter sogar genießen, denken aber auch an Fahrradfahrer, die wir heute getroffen haben und die nun in ihren Zelten ausharren müssen!

Der nächste Morgen wird dann auch noch einmal abenteuerlich, denn durch den starken Regen der vergangenen Nacht sind aus ein paar matschigen Pfützen regelrechte kleine Seen geworden und Henk kommt im wahrsten Sinne des Wortes ins Schwimmen. Zuvor haben wir schon Johannes ehemalige Kollegen um Rat gefragt, da wir uns unsicher waren, ob aus einer Verbindung zum Radkasten Flüssigkeit ausgetreten ist, doch wenn man sich den Weg so ansieht, den wir mit Henk gestern gefahren sind, überzeugt uns die Erklärung von Wulf und Peer, dass sich vermutlich einfach Spritz- oder Regenwasser in der Tülle des ABS Kabels gesammelt hat!
Beim Versuch, einen Teil des Schotterweges zu umgehen und einen kürzeren Weg auf die Straße zu nehmen, sitzen wir dann auch noch auf und sind der Meinung, dass wir Henk für heute genug zugemutet haben. Auf guten Straßen geht es nun schnurstracks Richtung Hauptstadt.


Yerewan 

Bevor wir uns in die Innenstadt stürzen, haben wir noch eine Mission. Vor über zehn Tagen haben wir unser Visum für den Iran beantragt und wollen nun direkt bei der Botschaft vorsprechen, um herauszufinden, wie unsere Chancen stehen. Wir parken in der Nähe der Iranischen Botschaft und ziehen uns entsprechend der iranischen Kleidervorschriften um. Für Johannes heißt das lediglich lange Hosen anzuziehen, doch da Marie noch nicht wirklich mit irantauglicher Kleidung ausgestattet ist, muss sie neben ihrem Kleid in Thermoleggings und Pullover schlüpfen. Bei den aktuellen Temperaturen ist da das Kopftuch das kleinste Problem. So zurecht gemacht stehen wir erwartungsvoll vor dem Eingang für Visumanträge, bis wir feststellen, dass wir laut Schild außerhalb der Öffnungszeiten hier stehen. Gerade als wir umdrehen wollen um morgen wieder zu kommen, kommt ein freundlicher Herr auf uns zu und fragt nach unseren Wünschen. Er bittet uns, kurz zu warten, verschwindet dann im Innern des Gebäudes, um kurz darauf zurück zu kommen und uns aufzuschließen. Wir sind ehrlich verblüfft. Damit hätten wir nun wirklich nicht gerechnet. Nun sitzen wir als einzige Personen im Wartebereich, bis tatsächlich jemand kommt, der den Schalter extra für uns besetzt. Wir bedanken uns vielmals und wenige Minuten später haben wir die Zusage, unser Visum in zehn Tagen hier abholen zu können. Wenn das klappt, war es letztlich einfacher als gedacht!

Wieder zurück verwandelt in luftig gekleidete Sommertouristen besichtigen wir Armeniens Hauptstadt. Zuvor haben wir dafür gesorgt, dass Henk auch wirklich sicher steht. Seit unserem Einbruch in Georgien sind wir in großen Städten zugegebenermaßen etwas paranoid, doch zwischen Deutscher Botschaft und Grundschule wird ihm garantiert nichts geschehen. 

Unser Gesamteindruck der Stadt steht in krassem Gegensatz zu allem, was wir bislang von diesem Land zu sehen bekommen haben. Viele moderne Gebäude stehen hier neben alten Prachtbauten, die aufwändig renoviert wurden, dazu prägen großzügig angelegte Parkanlagen und Flaniermeilen das Stadtbild. Das Design der Straßencafes wirkt jung und hipp und von herum liegenden Müll ist keine Spur.
Dieser Kontrast macht uns nachdenklich. Es ist verständlich, weshalb so viele junge Menschen aus den ländlichen Gebieten nach Yerewan abwandern, auch wenn es in den Randgebieten der Hauptstadt nicht weniger ärmlich aussieht als in den kleinen Dörfern.

Wir schlendern durch die Stadt, haben uns nur wenige Sehenswürdigkeiten heraus gepickt, die wir besuchen wollen. Die Marktstände der `Vernissage´gehören aber auf jeden Fall dazu! Ein bisschen sind wir jedoch enttäuscht. Irgendwo hatten wir von einem riesigen Flohmarkt gelesen, doch dies hat mit einem Trödelmarkt herzlich wenig zu tun. Es sind vielmehr touristische Souvenirstände mit ähnlichem Sortiment, die sich hier aneinander reihen. Trotzdem macht es Spaß, die bunte Auslage zu begutachten und diese riesenhaften, archaisch anmutenden Grillspieße könnten wir doch sicher gut gebrauchen... 

Zum Glück werden wir in diesen Überlegungen jäh unterbrochen, denn Johannes entdeckt in einem kleinen Cafe einen der zwei Matthiasse, die im 3G leider gerade erst ankamen, als wir gerade dabei waren, den Platz zu verlassen. Mit Matthias & Matthias, die zwei Haudegen auf ihren Motorrädern, die nichts davon wissen wollen, als wir ihnen mit ihren Namen eine steile Schlagerkarriere voraussagen, hätten wir gerne etwas länger geplaudert – ein schöner Zufall, dass wir ihnen hier noch einmal begegnen.
Bestimmt zwei Stunden sitzen wir mit den beiden erzählend am Tisch und sie begleiten uns später noch zur blauen Moschee, der ältesten in ganz Armenien, die mit ihrer bunt gekachelten Fassade wunderschön anzusehen ist.
Als wir uns von den beiden verabschieden, ist es bereits Abend geworden und wir gönnen uns den Luxus, richtig essen zu gehen. Anschließend geht es zu den Kaskaden, einer Treppenanlage, die als kulturelles Zentrum Yerewans gilt. In der Tat befindet sich der monströse Aufgang inmitten von stylischen Cafes und auf den einzelnen Terrassen, die die Treppe in mehrere Abschnitte gliedern, wird zeitgenössische Kunst ausgestellt. Wir zwingen uns, uns erst ganz oben umzudrehen und so haben wir mit einem Mal eine gigantische Aufsicht auf das glitzernde Yerewan.

Da es zu nieseln beginnt, beschließen wir, bald zu Henk zurück zu kehren und nur noch einen kleinen Umweg über den `Platz der Republik´ zu machen. Hier kommt jeden Abend zu lauter Musik die große Wasserorgel zum Einsatz und zu den Klängen von Opernmusik bis Queen genießen wir auf den Stufen sitzend mit vielen anderen Einheimischen und Touristen das opulente Schauspiel.
Zurück bei Henk erwartet uns dann leider doch noch eine böse Überraschung. Lange tiefe Kratzer zieren seine Motorhaube und auf der Beifahrertür sind linkisch Herzchen eingeritzt. – Ab sofort fallen also auch Grundschulen bei der Parkplatzsuche raus...


Wellness für Henk 

Natürlich sind es `nur´Kratzer, doch da wir Henk gerade in den letzten Tagen einiges zugemutet haben, schadet es sicher nicht, den einzigen VW Händler Armeniens aufzusuchen, nach einem Lackstift zu fragen und Henk mal ordentlich durchchecken zu lassen, zumal er uns schon seit einiger Zeit per Anzeige signalisiert, dass es mal wieder Zeit für eine Inspektion wäre.

Dass wir noch vor Öffnungszeit auf dem Parkplatz des schicken Autohauses in Yerewan stehen und sich Johannes dort in stoischer Ruhe seinen Kaffee macht, sorgt für Belustigung und bricht direkt das Eis. Gleich sechs Männer kümmern sich um unseren Liebling und verziehen beim Anblick der Kratzer schmerzhaft das Gesicht, als hätten sie selbst welche abbekommen. 

Allein der Mechaniker zuckt etwas mitleidig mit den Schultern, als Henk hochgebockt auf der Hebebühne steht und wir ihm ein loses Kabel zeigen, dessen Schelle gebrochen ist. Verständlich, denn es ist ja immer noch dran und noch nicht abgerissen...
Sein Ehrgeiz erwacht jedoch, als ein stiller junger Kerl das Kabel kurzerhand mit einer Zange am Unterboden fixiert und er beeilt sich nun seinerseits, den ganz schön massakrierten Unterbodenschutz mit Kabelbindern zu befestigen. Um eine aus unerfindlichen Gründen fehlende Strebe zu ersetzten, zieht er lässig ein vergleichbares Teil aus einem Haufen hervor und erntet dafür viel Lob seiner Kollegen, die wortreich auf die vielen Zertifikate des Mechanikers hinweisen.
Allerdings zucken wir alle zusammen, als er die Eisenstrebe erst am Unterboden anbringt und dann in Form hämmert – beziehungsweise einmal stark daneben schlägt. Vor allem Johannes tut dies in der Seele weh, da sich an dieser Stelle der stoßempfindliche Rußpartikelfilter befindet. Marie liest in seinem Blick, dass er berechtigte Zweifel daran hegt, dass dies tatsächlich der beste Mann der Werkstatt sein soll.
Henk lässt die ganze Prozedur geduldig über sich ergehen und nach der groben Behandlung gibt es zum Abschluss noch etwas Entspannungsprogramm, als ein Mitarbeiter die Elektronik überprüft und die Anzeigen löscht. `Das ist unser bester Mann´, bekommen wir zugeraunt. Und mit Blick auf die Halle des Mechanikers wird hinzugefügt: `Dem da sagen wir immer nur, dass er der Beste ist, damit er sich freut und bessere Arbeit macht!´

Wir verabschieden uns von der lustigen Truppe, allen voran Vargan, der sich sehr um Henk bemüht hat. Einen Lackstift bekommen wir hier allerdings nicht, dafür den guten Rat, es doch mit Nagellack zu versuchen. Gute Idee eigentlich.


Und so hatten am Ende nicht nur wir unseren Luxusurlaub sondern auch Henk. Der Maniküre mit schwarzem Nagellack sieht der Gute allerdings mit gemischten Gefühlen entgegen ...

Hier wieder das Photoalbum zum Artikel: